PRA 44 U.S.C., 2201-2209
2. Dezember 2020 13:47 Uhr | Dr. Ulrich Kampffmeyer | Permalink
In den USA gelten für die Aufzeichnungen des Präsidenten und des White House besondere Regeln, die im Presidential Records Act festgelegt sind. Erläuterungen zur aktuellen Fassung finden sich auf mehreren Seiten des National Archives (NARA), des Congressional Research Service oder einfach auf Wikipedia. Der RPA regelt, dass alle Aufzeichnungen dem Nationalarchiv übergeben werden müssen (aktuelle Version 2014).
Es gibt zwei Anlässe, sich diese näher anzusehen: eine Klage gegen den noch amtierenden Präsidenten der USA, Donald Trump, und ein generelles Problem des Records Management.
Donald Trump wird vorsorglich verklagt, die Bestimmungen des RPA Presidential Records Act einzuhalten. Ziel ist, das Problem zu adressieren und vor Gericht zu bringen, ehe alles vernichtet wird. Trump ist bekannt dafür, Dokumente einfach zu zerreißen (die dann mühselig zusammengeklebt werden müssen) und ungesicherte, öffentliche Kommunikationskanäle für offizielle Mitteilungen z.B. Twitter und andere zu nutzen. Auch Whatsapp wurde im Kreise seiner Berater benutzt und dies, wo man 2016 noch, verlangte Hillary Clinton für ihre privaten E-Mails einzusperren. Ob das Schreiben an das Weiße Haus und die Klage der Organisationen „National Security Archive“, „Society for Historians of American Foreign Relations“, „American Historical Association“ und „Citizens for Responsibility and Ethics“ etwas bewirken wird, ist fraglich. Auch hier wird schon wieder diskutiert, ob der Präsident alles vernichten lassen kann um sich dann selbst zu begnadigen. So richtig strafbewehrt ist der RPA nämlich nicht.
Wichtiger – und für alle relevant – ist die zweite Frage, die sich auch aus den Hintergründen der Klage ableiten lässt. Schon seit Jahren wird beklagt, dass papiergebundene Aufzeichnungen immer geringer werden und das elektronische Aufzeichnungen, Records, fast schon der Regelfall sind. Neben die Aufzeichnungen in einer Organisation oder einem Unternehmen sind längst zusätzlich Video-Sitzungen, Chats, Social Media-Posts, Teams-Beiträge, Messenger-Nachrichten und andere digitale Kanäle getreten. Diese werden aber noch weniger dokumentiert, als die internen innerhalb der Organisation vorliegenden Daten und Dokumente. Hier sind meistens bereits professionelle Records-Management-Lösungen im Einsatz, die helfen, die Compliance- und Governance-Anforderungen einzuhalten. Auch wenn diese vielfach schlecht gepflegte Insellösungen sind, ist der Zustand der Dokumentation hier jedoch deutlich besser und nachvollziehbarer als bei allen Internet- und Kommunikationskanälen. Aber auch diese Kommunikation und Informationen stellen entsprechend ihrem Inhalt, Wert und Rechtscharakter aufbewahrungspflichtige Aufzeichnungen dar. Dabei geht es nicht nur um den historischen Wert, der den Hintergrund der Klage gehen Trump betrifft, sondern auch generell um geschäftliche, steuerliche, vertragliche und andere Informationen, die für eine Organisation oder ein Unternehmen essentiell oder gar überlebenswichtig sind.
ECM Enterprise-Content-Management-, Records-Management- und Information-Governance-Konzepte sind daher so auszubauen, dass auch Quellen wie Social Media, Kurznachrichtendienste und digitale Video-Kommunikation als Records identifiziert und klassifiziert werden. Neben diesem grundsätzlichen problem treten dann noch technische Herausforderungen wie die Formate dieser Informationsobjekte, deren Metadaten, die Prozesse der Erfassung und Archivierung, die Sicherstellung der Anzeigefähigkeit auch in Zukunft, Urheberrecht und Datenschutz, Authentizität, usw. Es geht aber nicht nur um Technik, sondern auch um organisatorische Themen wie die Verantwortung – wer ist für die Aufbewahrung zuständig -, das Erkennen – wie weiß ein Mitarbeiter, was aufbewahrungspflichtig oder aufbewahrungswürdig ist -, Schulung – um ständig das Bewußtsein für das Thema aufrecht zu erhalten -, und Information Governance – generelle, einfach und konsistent umsetzbare Regeln für den Umgang mit elektronischer Information.
Records Management und revisionssichere Archivierung sind weiter wichtig. Sie müssen sich allerdings verstärkt mit den neuen Themen, neuen Medien und Formaten, neuen Plattformen und neuen Prozessen beschäftigen, um Wissen zu bewahren, Information effizient zu nutzen und die rechtlichen Anforderungen zu erfüllen.
Mal sehen, was von den Aufzeichnungen des scheidenden Präsidenten, auch den digitalen wie Tweets und Videos, dann wirklich überbleibt und ob dann seine Wahlkampfparole „Lock her up“ sich gegen ihn und sein Team wendet.
Das Thema Aufzeichnungen des US Präsidenten hatte ich schon einmal auf Linkedin angesprochen, wo sich dann eine Diskussion von einer Russin und einem Deutschen zum US-Recht entwickelte 🙂
Zum Thema Archivierung digitaler Informationsobjekte durch die NARA siehe auch diesen Beitrag vom Oktober 2020, letzter Absatz.
Presidential Records Act: it's time to save the evidence
Now is the time to archive all tweets, messages & posts of Donald #Trump and his trumpistas to hand them over to the National Archives in accordance with the #PRA Presidential Records Act https://www.archives.gov/about/laws#presrec These are historical documents needed as evidence for this era of chaos. @USNatArchives @Twitter @Facebook @Instagram https://www.congress.gov/113/plaws/publ187/PLAW-113publ187.pdf
Löschwochen im weißen Haus ...
[EN] Historians having to tape together records that Trump tore up |c … and what about the electronic legacy? files, documents, records, emails, tweets, posts, audit trails? It is a mess | #Trump #NARA #RecordsManagement #Archiving http://bit.ly/3ik12oc
Besuch in Mar-A-Lago
Sieht man die aktuellen Nachrichten aus den USA, wo sich Archivare nach Florida bemühen müssen, um Unterlagen des vorangegangenen Präsidenten einzusammeln, wo Dokumente zusammengeklebt werden müssen und wo einiges schon im Schredder oder Feuer gelandet ist, kann man nur noch mit dem Kopf schütteln. Dabei sind Papier und andere Gegenstände noch greifbar – elektronische Dateien, E-Mails und andere Daten lassen sich auf Knopfdruck viel einfacher vernichten.
Dies sind Gesetzesverstöße. Es stellt sich aber zunehmend die Frage, wann und ob überhaupt Konsequenzen gegen solche offensichtliche Gesetzesverstöße in den USA geahndet werden. Wenn sich ‚höher gestellte‘ Leute ungestraft über gesetzliche Auflagen zur Aufbewahrung wichtiger Dokumente hinwegsetzen können – warum sollen sich dann die ‚kleinen Leute‘ in Zukunft an Aufbewahrung und Aufbewahrungsfristen halten. Bleibt zu hoffen, dass die zuständigen Staatsanwaltschaften und das Department of Justice endlich dazu bewegt werden können, gegen die Gesetzesbrüche vorzugehen.
Aber wir wollen bei solchen Skandalen nicht immer gleich über den ‚Großen Teich‘ blicken – schließlich hatten wir auch in Deutschland so Sachen wie „Kohls Aktenordner“ zum Leuna-Deal. Auch in Deutschland liegt vieles zum Thema Aufbewahrung im Argen.
Erneuter "Besuch" in Mar-A-Lago
Der „Raid“ des FBI auf der Suche nach geheimen Dokumenten in D. Trumps Privatresidenz zeigt, dass der PRA 44 U.S.C. doch nicht zahnlos ist und wahrscheinlich der einfachste, schnellste Weg ist, um D. Trump dingfest zu machen. Steven Colbert in der „Late Night Show“: „Trump is taken down by Librarians„. Also mal eine wichtige, historische Rolle für Archivare und Records Manager. Das entsprechende Gesetz war nach dem Watergate-Skandal verfasst worden und zeigt nun Wirkung.
Die Reaktionen von Rechts und der GOP machen zugleich deutlich, wie es um das Demokratie- und Rechtsstaatlichkeitsdenken in den USA aktuell bestellt ist. Von wegen Partei für Recht und Ordnung – anstelle Trump als Kriminellen zu behandeln, wird er weiter glorifiziert. Aktivitäten wie seinerzeit zu Clintons E-Mails – Lock her up – sind hier von den Rechten nicht zu erwarten.