Die Papier- und Druckindustrie & die Digitalisierung
11. Mai 2021 18:58 Uhr | Dr. Ulrich Kampffmeyer | Permalink
Es gibt Momente, da wird man sich an Initiativen der Vergangenheit erinnert. Da gab es einmal den WPFD World Paper Free Day. Wer sich noch an die seelige DMS EXPO entsinnen kann, weiß, dass dort in Stuttgart mehrfach der WPFD „gefeiert“ wurde (z.B. 2012 https://bit.ly/39GBy1m, 2013 https://bit.ly/3cOVvVR) – frei nach dem Motto „heute nichts drucken, nichts kopieren, nichts faxen, keine Papierprospekte verteilen“. Und es gibt noch mehr Erinnerungen – wie man beim Posten von Nachrichten zum WPFD auf Twitter massiv von Vertretern der US-amerikanischen Papier- und Druckindustrie angegangen wurde. Drohungen aus den USA mit Anwälten, Abmahnungen und Anzeigen waren da noch als zivil einzustufen … es wurde sehr persönlich … „man wisse auch wo jemand wohne, wenn er in Deutschland lebt“.
Und nun geht es anscheinend wieder los. Offenbar fühlt sich die Druck- und Papier-Industrie durch die rasant zunehmende Digitalisierung in Panik-Stimmung. Wer ist schon einmal über die Webseiten der weltweit agierenden TwoSides https://bit.ly/3tEcuz5 oder https://bit.ly/3hpYuGC gestolpert? Natürlich gibt es auch durch die Digitalisierung, Energieverbrauch, Geräte, Entsorgung usw. Probleme mit der Nachhaltigkeit der Digitalisierung. Das leugnet auch niemand. Jedoch ist Papier in Zeit der Digitalen Transformation von Wirtschaft und Verwaltung leider ein Medienbruch, ein Showstopper. Da hilft auch TwoSides (typischer Sprachgebrauch, woran erinnert der aktuell in der Politik?) als Informationsplattform wenig dagegen. Nun scheint es auch noch andere Möglichkeiten zu geben, gegen die Digitalisierungsbranche selbst zu agieren. Es gibt Gerüchte, dass Anbieter von DMS-, ECM- oder Informationsmanagement-Lösungen da direkt „angegangen“ werden, „geoutet“ werden sollen . Vielleicht mag ja einer der mutigen ECM-Anbieter an dieser Stelle einen Kommentar abgeben. Vielleicht ja gerade einer der zahlreichen Büro-Drucker und Multifunktionsgeräte-Anbieter, die sich jüngst mit ECM-Produkten das Portfolio zukunftssichernd ausgebaut haben. Den Trend zur Digitalisierung wird die Druck- und Papierindustrie nicht aufhalten können, auch nicht mit „Anti-Greenwashing“-Kampagnen (https://bit.ly/3hj9jdJ). Letztere „Greenwashing“-Argumente gab es schon seinerzeit, als die AIIM noch den WPFD propagierte und auch Google auf das Thema „paperfree“ setzte, ganz massiv. Nun kann man ja auch bei TwoSides Mitglied werden und so in Kampagnen gegen „Greenwashing“ oder für „Love-Paper“ (u.a. mit 6 Jahre alten Studiendaten) investieren. Nun gut – Kartonagen-Anbieter und Kartonagen-Bedrucker werden da wohl nicht mitmachen, denn die haben zumindest genug Geschäft um den gesamten Handel mit Kartons zu versehen. Und im Blog von TwoSides findet man auch den Artikel zu den „versteckten Kosten der Digitalen Welt„, den man dort allerdings nicht kommentieren kann (was man hier bei uns im Blog natürlich machen kann).
Two Sides gegen Amagno
Also, dann presche ich mal vor. Als ECM Anbieter liegt uns die Nachhaltigkeit unserer Gesellschaft im Sinne unserer nachfolgenden Generation am Herzen. Viele unserer jungen Mitarbeiter sind jetzt Väter und Mütter. Es hat für uns eine Bedeutung.
Und ja, natürlich muss man immer zwei Seiten sehen. Digitalisierung, vor allem im Kontext von Hardware, ist nicht perfekt für die Umwelt. Analog kann man derzeit die Diskussion zwischen Verbrennern und Elektromobilität sehen. Was ist Nachhaltiger? Was ist Klimafreundlicher?
Aber nehmen wir mal die Fakten, die uns betreffen:
Wir haben im Oktober 2020 ein Anschreiben von Two Sides erhalten (natürlich per Brief). Hier drin wurden wir aufgefordert, unsere Beiträge auf der Homepage zu korrigieren und diese an die Erkenntnisse von Two Sides anzupassen.
Hier ein Auszug dessen, was bei uns kritisiert wurde: „elektronische Rechnungen seien umweltschonend, genauer: ,,Ein elektronischer Rechnungsworkflow ist …umwelt- und ressourcenschonend“.
Ist es das nicht? Eine Rechnung wird in Asien bereits digital produziert. Dann ausgedruckt und mit einem Frachtschiff oder Flugzeug nach Deutschland geschickt. Mit dem LKW und später mit dem Auto zum Empfänger transportiert. Dort gescannt. Geschreddert und dann .. ab in das umweltfreundliche Altpapier. Ist das Umwelt- und Ressourcenschonend? Wirtschaftlich sowieso nicht, denn die IT ist „eh da“. Wir könnten sogar noch mehr Positives erreichen, in dem wir keine Scanner und keine Drucker mehr einsetzen müssten.
Soweit das. Wer verantwortet Two Sides? Hier gibt es ein ganz klares Statement in dem Anschreiben: „https://de.twosides.info … Diese vertritt nicht nur die Interessen der Papier- und Druckindustrie ….“
Bedeutet ganz klar: Es werden die Interessen der Papier und Druckindustrie vertreten.
Unser Unternehmen hat ein Green Team, welches sich für interne und externe Projekte einsetzt, beispielsweise Kompensationsprojekte für Reisetätigkeiten oder auch alltägliche Optimierungen. Das Green Team war dabei, diese Informationen sorgfältig abzuwägen.
Im April 2021 erfolgte dann ein weiteres Anschreiben. Hier einige Zitate draus:
„… Ich möchte Sie daher darauf hinweisen, dass wir nun Ihre Aussagen zum Anlass zu nehmen, um Sie in unseren Greenwash-Report aufzunehmen und ebenso auf unserer Website publizieren. …“ und „… Sollten wir von Ihnen binnen der nächsten vier Wochen keine Rückmeldungen erhalten, wird sowohl der Report als auch die Pressemeldung wie angekündigt versendet. …“
Wir fassen dies im Mindesten als Drohung auf und haben entsprechend unseren Rechtsbeistand Maßnahmen vorbereiten lassen.
Das ist der alltägliche Wahnsinn im Zeichen moderner Gefahrenabwehr (Resilienz).
Mir ist bekannt, dass Two Sides noch weitere Anbieter angeschrieben hat.
Sind eigentlich auch Druckerhersteller angeschrieben worden? Egal.
Für mich persönlich möchte ich festhalten. Papier, insbesondere via Altpapierverwertung, halte ich für viele Bereiche unseres Lebens für schön und wichtig. Kunst. Kultur. Verpackungen.
Im Unternehmenskontext ist für mich Papier absoluter Wahnsinn. Es wird fast immer digital produziert, aber noch viel zu oft auf Papier gebracht und aufwendig verarbeitet. Am Ende sind Papierdokumente eigentlich Träger an Informationen für Workflows. Diese brauchen kein Papier, sondern moderne digitale Workflowlösungen mit Daten oder digitalen Dokumenten zwischen Personen, Organisationen und Firmen.
Gerade die Corona Krise hat gezeigt, wie effektiv digitale Lösungen sind, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Ich möchte nicht nochmal hören, dass Mitarbeiter in Formen mit Reisekoffern in ihre Firma fahren müssen, um dort Akten rauszuholen oder das Geschäftsprozesse via „Brief“ durchzuführen sind.
Das ist so 1990 …
Klare Worte zu Two Sides
Danke Jens für Deine Offenlegung – damit ist es auch kein Gerücht der Branche mehr 🙂
Im Vergleich was ich 2013 erleben durfte sind die von TwoSides ja noch ganz nett. Aber wenn wir schon mal bei „Rechnungen“ sind …
Rechnungen entstehen heute digital in ERP- und Finanzbuchhaltungssystemen. Sie sind originär digital, „digital born“ wie der Amerikaner sagt. Der Ausdruck auf Papier ist nur eine mögliche Form der Repräsentation einer ursprünglich elektronischen Information. Die deutsche Steuergesetzgebung und deren Ausführungsbestimmungen (GoBD) verlangen vom Empfänger einer Rechnung die Speicherung und Aufbewahrung des originären Formates. Das Ausdrucken einer originär elektronischen Rechnung auf Papier beim Empfänger geht also aus rechtlicher Sicht schon mal gar nicht und die GoBD spricht sich auch an anderer Stelle deutlich gegen das Arbeiten mit Papier in den Prozessen aus wenn es denn elektronische Dokumente originär oder durch Scannen gibt.
Um bei Rechnungen z.B. Skonti in Anspruch nehmen zu können, ist es erforderlich dass die Rechnung möglichst zeitnah und schnell innerhalb der Frist verarbeitet wird. Dies ist bei einer elektronischen Rechnung, empfangen in Sekunden nach der Erstellung, im System automatisch verarbeitet und elektronisch freigegeben, schneller und sicherer als die Arbeit mit einer Papierrechnung, die auf dem Postweg ankommt. Hier ist die elektronische Rechnung schneller und wirtschaftlicher.
Solche Argumente für die Digitalisierung von Geschäftsprozessen dürfte es noch viele geben.
Auch Deinen Hinweis auf Papier bei Büchern, Zeitschriften und ähnlichen Werken kann ich unterstützen – sitzend vor meinen Bibliotheksregalen. Es gibt viele Bereiche wo Papier sinnvoll anwendbar ist.
Und viele andere, die man in Frage stellen muss.
Da ist z.B. der Online-Handel mit seinem enormen Bedarf an Kartonagen um alles Mögliche zu versenden.
Da sind die anfälligen Nutzholz-Nadelwälder zu nennen, die natürliche Biotope und Wälder verdrängt haben.
Da ist der aktuelle Holzmangel zu betrachten, der die unnötige Verschwendung z.B. beim Verbrennen und unnötig erscheinenden Papierprodukten in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Da sind die Zeitschriften und Publikationen, die sich auf die digitale Veröffentlichung verlegt haben. Im wissenschaftlichen Bereich wächst hierdurch z.B. das Wissen schneller. Und gerade angesichts der aktuellen Pandemie wäre ohne elektronischen Informationsaustausch durch auf das Warten auf Informationen und Publikationen auf Papier alles noch schlimmer geworden.
Schöne Grüße,
Uli
Two Sides "gegen die Zukunft"
Hallo Uli, hallo Jens,
auch wir haben Bekanntschaft mit Two-Sides machen dürfen.
Erstmals im August 2020 mit ähnlichem Vorgehen, wie oben von Dir, Jens, beschrieben. Einzelne Aussagen in einem Blogbeitrag wurden in Frage gestellt.
Danach im April eine Erinnerung mit exakt gleichen „Drohgebärden“, wie oben dargestellt (vermutlich eine Serienschreiben mit immer gleichem Inhalt…).
Übersehen wurde dabei eine durchaus detaillierte Auseinandersetzung mit dem Thema, bei der auch Ressourcenverbräuche der Digitalisierung relativierend hinzugezogen wurden, in einem anderen Blogbeitrag:
https://www.d-velop.de/blog/digitaler-wandel/digitales-buero-spart-co2/
(Um es vorwegzunehmen – die Einsparpotentiale sind trotz der noch nicht optimalen Aufstellung der Digitalbranche immens…wir reden beim Vergleich einer digitalen Seite und einer Papierseite in etwa von Faktor 1000 bei der CO2-Freisetzung)
Inhaltlich war der Vorwurf der einseitigen, verkürzten, unzureichenden und damit falschen Darstellung also nicht gerechtfertigt.
Letztlich möchte ich aber auch auf andere Umstände hinweisen – vlt. spannend für meine ECM-Kollegen:innen hier:
1.
Die Aussagen auf unserem Blog wurden in Form redaktioneller Beiträge getätigt.
Ein wichtiger Umstand. Das wurde von TwoSides bei den Recherchen übersehen.
2.
Unsere Ansprache auf unserer Website und im Blog richtet sich nicht, wie von TwoSides fälschlicherweise behauptet, an Verbraucher, sondern an Unternehmen (und andere professionelle Organisationen). Ein noch wichtigeres juristisches Argument.
TwoSides hat sich gestern bei uns für den Fehler, der ihnen unterlaufen ist entschuldigt, ihr Schreiben wurde von ihnen als gegenstandslos bezeichnet.
Alles in allem kann ich mich zu 100% der Meinung von Jens Buescher anschliessen:
Wir sind überzeugt davon, dass wir als Unternehmen etwas Positives für unsere Umwelt und v.a. für die vor uns liegenden Klimaherausforderungen tun können, indem wir Medienbrüche vermeiden und somit auch unnötige Wasserverbräuche und vor allem unnötige CO2-Freisetzung einsparen. Das erwarten unsere Kunden von uns, und das erwarten auch unsere Mitarbeiter:innen von uns als verantwortlich handelndes Unternehmen. Und das liegt uns sehr am Herzen. Nicht erst „seit gestern“, sondern in unserer Unternehmens-DNA. Mir persönlich übrigens auch.
Auch wir haben deshalb Projekte und Massnahmen zur Eindämmung von Energieverbräuchen und CO2-Vermeidung durchgeführt, auch wir kompensieren, wenn die Vermeidung nicht greift – und unsere Produkte helfen uns und unseren Kunden nicht nur dabei, ihre Produktivität zu erhöhen sondern eben auch umweltschonender zu arbeiten.
Two Sides gegen die ECM-Branche ...
Dank Dir Mario,
auch für die zwei zusätzlichen Argumente bzgl. des Standard-Schreibens von TwoSides. Interessant ist vielleicht auch, dass es auf der Seite mit dem Artikel von Two Sides keine Möglichkeit des Kommentierens gibt. Soviel zum Thema – beide Seiten anhören.
Vielleicht sollte die Branche dies mal zum Anlass nehmen sich mit dem Thema Nachhaltigkeit und Digitalisierung auseinanderzusetzen. Solche Kampagnen wie von Two Sides und die zahllosen Informationen im Internet zu diesem Themenumfeld führen unter Umständen auch dazu, dass Kunden hier nachfragen. Und da gilt es die positiven Seiten der Lösungen rund ums Informationsmanagement darzustellen.
Schöne Grüße,
Uli
👍🏻
👍🏻
Positiver Nachklapp zu Two Sides "Greenwashing"
Einige Überlegungen im Nachgang zu der Aktion von Two Sides, positiv gestimmt …
Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte – gerade für das Thema von Two Sides ist dies keineswegs der Fall. Beide Medien, Papier wie digitale Information, beide Industrien, D&P Druck & Papier ebenso wie IKT&IM Informations- und Kommunikationstechnologie & Informationsmanagement, haben ihre Auswirkungen auf die Umwelt, auf den “CO2-Fußabdruck”. Two Sides hat es eigentlich nicht nötig, so einseitig vorzugehen, sondern sollte auch offen mit den Problemen der eigenen Branche umgehen. Man kann dann doch auch die andere Seite, die zweite Seite, zu Wort kommen lassen und offen, möglichst objektiv, über Lösungen für beide Seiten diskutieren. Das wäre doch mal ein positiver Ansatz, der auch Two Sides in Punkt Professionalität und Vertrauenswürdigkeit gut tun würde.
Positiv denken!