BIT Interview „ECM Rückblick 2014 und Ausblick 2015“
12. Februar 2015 11:33 Uhr | Dr. Ulrich Kampffmeyer | Permalink
Jedes Jahr veröffentlicht das Fachmagzin "BIT" Statements namhafter Vertreter der ECM Branche zu den Entwicklungen des vergangenen Jahres und zu den Erwartungen für das neue Jahr. Auch Dr. Ulrich Kampffmeyer war wieder dabei: "Digitalisierung im Trend".
Die (immer gleichen) Fragen stellten diesmal Anja Stapelbroek und Thorsten Wiegand.
Mein spannendstes Branchenerlebnis
Etwas spannend war die Übernahmeschlacht um Readsoft, die sich Lexmark (Perceptive) und Hyland lieferten. Irgendwie wurde der Preis immer weiter hochgejubelt. Die Eigner von Readsoft wird es gefreut haben.
Langweiligstes Branchenerlebnis
Da waren mehrere – die immer wiederkehrenden gleichen Formate, Themen und Referenten bei den Tagungen der Anbieter und Verbände. Irgendwie hat man den Eindruck, dass man alles schon einmal gehört hat. Darunter leiden dann auch die Anbieter von Veranstaltungen, denn offenbar geht es nicht nur mir so. Ganz so schlimm wie es klingt war es aber auch nicht, denn zu den langweiligen Veranstaltungen bin ich erst gar nicht hingefahren.
Herausragende Themen
2014 war sicherlich der SMAC-Stack das herausragende Thema. SMAC steht für Social, Mobile, Analytics und Cloud. Diese vier – und davon bedingte Trends – haben auch die ECM-Branche durcheinandergewirbelt. Der Amerikaner nennt dies gern auch „disruptiv“. Bisherige Trends und Entwicklungen durchbrechend und völlig neue Wege eröffnend. Die ECM-Branche reagiert mit mobilen Clients, automatischer Klassifikation, reinen und hybriden Cloud-Angeboten und der Integration von Social-Media-Funktionalität. Eigene Innovation fehlt – es wird den allgemeinen Entwicklungen im ITK-Markt hinterhergesprintet.
Besondere Veränderungen
International gibt es eine Reihe von Unternehmen, die sich nun auch vermehr nach Europa orientieren (nach dem sie auf dem US-amerikanischen Markt etabliert sind). Europa ist mit der sprachlichen, staatlichen und kulturellen Vielfalt immer etwas schwieriger. Zu diesen Anbietern gehören z. B. Hyland nun auch in Deutschland mit eigener Aufstellung und M-Files. Es werden noch einige versuchen schnell noch neue Märkte für on-premise zu erschließen, bevor Dropbox, Box und deren Follower mit immer besseren Business-Lösungen die Cloud attraktiver machen. Der deutsche Mittelstand hat sich ganz gut geschlagen: allen vorweg ELO, SER, Optimal Systems, d.velop. Dann ist aber etwas Pause, bevor man die anderen sieht.
Den deutschen Anbietern helfen die Nähe zum Kunden und die deutschen Besonderheiten, die Sonderlocken, wie De-Mail, Signieren, OKeVA, ZUGFeRD und was man sich da noch Besonderes ausgedacht hat, wo die internationalen Anbieter sagen, der Markt ist uns zu klein, das machen wir nicht selbst, das sollen mal die Integratoren und Partner vor Ort lösen. Anders als der internationale Markt hat sich Deutschland in 2014 etwas anders orientiert. Natürlich spielen OpenText und IBM eine wichtige Rolle auch in Deutschland, aber von anderen sogenannten Schwergewichten der Analysten-Grafiken wie EMC, Oracle, HP etc. war kaum etwas zu sehen. Und zum Schluss – die Anbieter von Druckern haben über den Weg des Multifunktionalen Printer-Scanner-Copier-Fax den Weg ins Dokumentenmanagement gefunden. Waren hier früher nur Lexmark, Xerox, Canon und Ricoh stark unterwegs so haben inzwischen auch Minolta, Kyocera und die anderen sich beratend in dieses Gebiet vorgewagt – denn irgendwann spielt das Drucken und das Toner-Vertickern nicht mehr genügend Geld ein.
Besondere Innovationen
Innovationen bei Technologien sehe ich nur wenige. Das Meiste sind Verbesserungen. Besonders ist der Sprung vorwärts bei der automatischen Klassifikation, semantischer Software und Auswertung von Beziehungen zwischen Datenelementen bemerkenswert. Der Flaschenhals der manuellen Erfassung von Informationen und Deklaration von Dokumenten ist in Kürze bei höherer Geschwindigkeit und gleicher Qualität durch die Software überwindbar. Nun muss dies nur noch bezahlbar werden (Watson für den Desktop ist ein erster Schritt in die richtige Richtung). Innovationen bei Lösungen gibt es in der „ECM-Branche“ einige. Endlich intuitive Benutzeroberflächen ohne Overhead, einfach einzurichtende, selbstlernende Prozesse, tiefe Integration mit den anderen Anwendungen im Unternehmen, erste wirklich praktikable Lösungen in der (Privat-) Cloud.
Interessant ist, wie die Branche Themen aufnimmt, die nicht klassisch ins Dokumentenmanagement passen. So z.B. ZUGFeRD. Hier sollten zwei kaufmännische Anwendungen direkt Daten austauschen und diese automatisiert verarbeiten, wie schon bei EDI – aber geschickt hat sich hier die ECM-Branche mit dem PDF/A-3-Container dazwischen gemogelt. Überhaupt geht der Trend zu spezifischen Fachthemen, die früher mit einer Fachanwendung und heute mit einer elektronischen Akte plus Zusatzlogik umgesetzt werden. Ob eine ECM-Software aber hier immer die gute Plattform ist, eine Fachanwendung zu bauen, dass muss sich noch zeigen.
Größte Überraschung
Mal was persönliches, nichts mit der Branche. Unvermittelt bekam ich Besuch von einem lieben alten Freund – Heinz Müller-Saala. Heinz war einmal der Leuchtturm der Mikrographie in Deutschland und wir haben uns immer gegenseitig „die Kante“ gegeben: er ein „Mikrofisch“, ich ein Diggifuzzi“. Mit Heinz hatte ich viele schöne Erlebnisse in den frühen Tagen des VOI, wo er trotz Mikrofilm mich bei Aufbau und bei den Sitzungen des Vereines freundschaftlich unterstützte. Es war ein schöner Nachmittag (und es gibt noch Reste von Mikrofilmgerätschaften, die bald wegkommen, wenn sich kein Museum zur Übernahme findet).
Das größte Ärgernis
Die wichtigste Veranstaltung der Branche feiert 20jähriges Jubiläum und keiner der Anbieter merkt was. Weder vor der DMS Expo noch auf der Veranstaltung kamen Jubiläumsgefühle auf. Man hat hier eine große Chance vertan, sich gemeinsam in der Öffentlichkeit einmal darzustellen – was sich seit Beginn verändert hat, was man erreicht hat, wohin es in Zukunft geht. Sehr bedauerlich. Dies fügt sich ein in das Bild der DMS Expo, die dieses Jahr noch weniger Besucher anlocken konnte als in den vergangenen Jahren. Die Müdigkeit war deutlich zu verspüren. Es gab bei den Anbietern auch keinerlei Ansätze etwas einmal anders zu machen, Innovationen zu zeigen (Innovations-Awards für ECM wurden anderswo vergeben). Hier passt dann auch die Aussage eines ECM-Software-Herstellers: „es hat nie eine ECM-Branche gegeben.“ Verbände wie auch Anbieter legen es offenbar darauf an, dass es kein einheitliches Bild einer ECM-Branche mehr gibt. Mein Weckruf zu diesem Thema ist leider verhallt.
Aufsteigerunternehmen des Jahres
Als internationales Unternehmen nenne ich mal M-Files als den Aufsteiger des Jahres. Bei den Deutschen … fällt mir gerade keines ein.
Flops im Management
“Flops“ im Management will ich nicht sagen, aber einige Gesichter aus Vorstands und Geschäftsführungsetagen wechselten dieses Jahr den Job. Ob dies Versagen war – in den meisten Fällen nicht. Man stolperte eher über die eigene nicht vorhandene Unternehmenskultur und scheiterte am Druck des Marktes.“
Ausblick auf 2015
In den vergangenen Jahren hatte ich hier die übliche Auflistung der Analysten versucht auf die – nicht-vorhandene – ECM-Branche abzubilden. Für 2015 diesmal nur ein Trend, der alles umfasst und dem sich alles unterordnet: Digitalisierung. Digitalisierung von allem, überall, unumkehrbar. Ganz abgesehen, dass wir uns in eine ungeheure Abhängigkeit von der Verfügbarkeit und Richtigkeit von Information begeben (haben), müssen wir uns dringend um die Beherrschung der Information, die Information Governance, kümmern. Und so entstehen mit einem Mal neue Chancen für das EIM Enterprise-Information-Management, denn alle Anwendungen brauchen erschließbare Speicher zum Aufbewahren der Information; Auswertung und Klassifikation zur Nutzung der Datenberge; Workflows und Audit-Trails um die Arbeit mit Information nachvollziehbar zu machen und zu steuern; Records-Management um die wichtigen Informationen zu extrahieren und zu schützen; Collaboration um Wissen gemeinsam zu nutzen.
Viele der klassischen ECM-Technologien werden sich hier im Untergrund als Infrastruktur wiederfinden. Angesichts der Vernetzung, des Informationswachstum, der Globalisierung und dem Ubiquitous-Computing bieten sich hier mit einem Mal ganz andere Anwendungsgebiete für ECM, DMS und EIM. Man muss sie nur jenseits der ausgetretenen Pfade von Scanning-, Posteingangs-, Akten und Vorgangsbearbeitungslösungen suchen und erkennen. Allumfassende Digitalisierung erfordert auch allumfassende Pflege der Information, damit sie überhaupt nutzbar ist und bleibt. Und die ECM-Branche hat hier eine Aufgabe: sich um den Wert der Information zu kümmern.