„Krise“ „ECM“
30. Mai 2018 06:29 Uhr | Dr. Ulrich Kampffmeyer | Permalink
Es wurden viele Gründe benannt, warum ECM Enterprise Content Management nicht mehr als Begriff geeignet ist, eine Branche, eine bestimmte Art von Lösungen und ein Marktsegment zu beschreiben:
- zu eng gefasst, da es immer nur um unstrukturierten Content ging (falsch!)
- von neuen Entwicklungen überholt (Web 2.0, Cloud, Analytics usw.)
- Enterprise-Ansatz zu statisch, dynamischere integrierte Services werden benötigt (schon immer ein Ansatz von ECM)
- ECM sei gescheitert, da bisher nur Abteilungs- oder isolierte Fachlösungen umgesetzt wurden
Dies haben wir auch hier in einer Reihe von Beiträgen thematisiert (2016 Ist der aktuelle ECM-Ansatz noch zeitgemäß? [http://bit.ly/ECM_zeitgemaess], 2017 Gartner ersetzt ECM durch Content Services [http://bit.ly/ContentServicesGartner]) und in zahlreichen Vorträgen dargelegt (Youtube [http://bit.ly/PCHHyoutube]; Slideshare [http://bit.ly/PCHHslideshare]).
ECM-Legacy-Lösungen sind ein Klotz am Bein, der ECM unbeliebt macht
Dabei wurde unseres Erachtens ein wichtiger Faktor übersehen oder zumindest unterbewertet: die installierten traditionellen Lösungen sind veraltet. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die meisten größeren ECM-Lösungen vor 10 und mehr Jahren installiert wurden. So stellte die Information Coalition [http://bit.ly/InfoCoalition] für die USA fest, dass dort rund 75% aller ECM-Lösungen vor 2010 implementiert wurden. Architekturen, Benutzeroberflächen und Integration entsprechen nicht mehr dem „State-of-the-Art“. In der Wahrnehmung und in der Akzeptanz von ECM-Lösungen rutschte das Thema ganz nach unten durch. Dies zeigt sich besonders bei altertümlicheren Konzepten des Records Managements und der elektronischen Archivierung, die aktuell durch KI und Blockchain aufgemischt werden. Solche Lösungen lassen sich schlecht in modernere Systeme integrieren, besonders wenn sie in Bezug auf die Verwaltung von Informationen durch bestimmte Typen von Daten eingeschränkt sind. Deutlich wird dies besonders bei Lösungen für gescannte Dokumente, E-Mail-Archive und andere, die auch technologisch und nicht nur fachlich Insellösungen darstellen. Heute müssen Informationsmanagementlösungen alle Arten und Typen übergreifend verwalten, um sie prozessorientiert, aktuell und vollständig im Sachzusammenhang den Anwendern bereitzustellen.
Anbieter von ECM-Systemen (ECMS) haben zur Krise wesentlich beigetragen, in dem sie nur in der Dimension von Systemen dachten (und ECM nicht als Vision, Strategie, Methode, Konzept, Prozess, Organisation usw. sondern als Funktionalität und Technologie begriffen haben) und immer größere, abgeschottete Boliden kreiert haben. Die Themen Dienste, Middleware und Integration, wesentliche Komponenten des ECM-Konzeptes gingen dabei unter. Und waren solche Boliden erstmal beim Anwender installiert, wurden sie zu statischen Bandagen, zum Klotz am Bein, die die Weiterentwicklung und Anpassung verhinderten oder sehr aufwändig machten. Der Aufwand der Pflege und des Unterhaltes von solchen Lösungen, die altertümlichen Nutzungsmodelle, die unpraktischen Benutzerschnittstellen, all dies trug dazu bei, dass ECM nicht so richtig ankam, nicht „sexy“ genug war.
Technologisch-funktional kann das Aufgreifen des Begriffes Content Services hier helfen, das Grundproblem aber, Information zu erschließen, zu verwalten, bereitzustellen (10 Grundsätze [http://bit.ly/10grundsaetze]) wird dadurch nicht gelöst. Beim Informationsmanagement geht es um mehr: Intelligentes Information Management ist, was man tut, und keine Technologie“. Daher führt die Diskussion um Content Services in die falsche Richtung. Das entscheidende Thema Information Management wird begraben und reduziert unter funktionalen, technologischen Aspekte von Diensten in einer IT-Infrastruktur. Da helfen auch keine Versuche, Content Services in Richtung „ECM-Ersatz“ „aufzublasen“.
Für die Anwender – und um die geht es – wird sich das Problem erst lösen, wenn modernere Dienste-orientierte Lösungen mit viel Automatisierung und Künstlicher Intelligenz die alten Boliden und Informationsinseln ablösen. Wie diese technischen Systeme dann genannt werden, ist eigentlich egal. Man kann aber nicht von ECM-Ablösung sprechen wenn die Legacy der Lösungen immer noch dick und fett in den Unternehmen sitzt. Deshalb ist auch das Thema Migration entscheidend, wie sich ECM weiterentwickelt. Werden nur die vorhandenen Dokumente und Metadaten 1:1 in eine neue Lösung überführt oder werden ältere Datenbestände systematisch durch automatische Klassifikation und Künstliche Intelligenz neu erschlossen? Hier entscheidend sich beim Anwender, ob die Information langfristig nutzbar und ihr Wert erhalten bleibt. Mit jedem Jahr, in dem sich altertümliche monolithische Lösungen im Unternehmen verfestigen, sinkt automatisch die Akzeptanz für das Thema Enterprise Content Management. Um also von ECM aus zu neuen Ufern aufzubrechen … sei es EIM, IIM, Content Services oder was auch immer (Es lebe die Akronymologie [http://bit.ly/Akronymologie]) … muss erst die Beharrlichkeit der vorhandenen Legacy-Lösungen überwunden werden. Die Krise des Akronyms ECM ist daher nicht nur eine Marketing-Schlacht um Begriffe sondern ein existentielles Problem in den Unternehmen, die bisherige ECM-Systeme einsetzen. Und es geht nicht nur um den Stellenwert von ECM per se, sondern auch um das Informationsmanagement und die Informationsmanager in den Unternehmen (Warum die Diskussion um ECM und Content Services auch für Endanwender wichtig ist [http://bit.ly/ECMdiskussion]).