Human Resource & Künstliche Intelligenz

22. April 2020 14:13 Uhr  |  Dr. Ulrich Kampffmeyer  |  Permalink


Dr. Ulrich Kampffmeyer, PROJECT CONSULT Unternehmensberatung, März 2020: Artikel in HR Performance 2/2020, www.hrperformance-online.de . PDF https://bit.ly/HRplusKI

Der Hype um die Künstliche Intelligenz macht vor keiner Branche, keiner Anwendung, keiner Systemlösung keinem Menschen halt. KI wird uns als die Lösung aller unserer Probleme mit bisheriger Software und Systemen versprochen. Zudem wird der Mensch als Benutzer dieser Systeme entlastet oder gar entlassen. Auch bei Human Ressources – ein fürchterlicher Begriff, werden Menschen einfach als Ressourcen für die Arbeit diskriminiert – muss man sich zunehmend mit der Künstlichen Intelligenz auseinandersetzen.

KI als Helfer

Ganz klar ist die Rolle der KI beim Informationsmanagement im Umfeld von HR-Software und elektronischen Personalakten. Informationsmanagement hatte immer das Ziel, möglichst viel zu automatisieren: Flaschenhälse der Informationserfassung zu überwinden, vorhandene Informationen besser zu erschließen, benötigte Information dem Anwender vollständig, aktuell und richtig zur Verfügung zu stellen. Das war das Paradigma aller Informationsmanagement-Anwendungen, egal ob man sie nun Imaging, Dokumentenmanagement, elektronische Archivierung, Enterprise Content Management, Enterprise Information Management, Digital Workplace, Content Services oder Intelligent Information Management nannte. Der letztgenannte Begriff, IIM Intelligent Information Management, kommt dabei den neuen Entwicklungen rund um Künstliche Intelligenz, Maschinenlernen, Analytics und Digital Process Automation am Nächsten. Mit Artificial Intelligence wird das Intelligent Information Management erst möglich.

Trotz des Hypes um KI lassen sich hier für Human Ressource Management und Personalakten zahlreiche Verbesserungen und Erweiterungen der Funktionalität im praktischen Einsatz finden:

  • Informationserfassung
    Längst geht es nicht mehr um das separate Erfassen von Office-Dokumenten, Scans oder E-Mails: moderne Capture-Lösungen erfassen alle Typen von Informationen und wandeln diese mit OCR/IC und anderen Techniken in verarbeitbare Daten, gleichen diese mit vorhandenen Datenbeständen auf Konsistenz und Richtigkeit ab, benutzen diese Daten für die Klassifikation und Indizierung der Objekte und steuern diese den zuständigen Gruppen oder Bearbeitern zu. Diese grundlegenden Techniken des Information Capture werden nun durch KI und Machine Learning (ML; autoML) ergänzt:
    • Die Erfassungs-Software erkennt selbst Inhalte und Zusammenhänge. Sie lernt und entwickelt sich weiter, um Fehler zu vermeiden und die Abarbeitung der Fälle sicherer zu machen.
    • Beim Scannen werden die Bilder selbst ausgewertet und so erkannt, dass alles lesbar und vollständig ist. Diese Bilderkennungsalgorithmen arbeiten schneller und deutlich besser als Kontrollen durch Menschen am Bildschirm.
    • KI automatisiert die Indizierung von Objekt mit Metadaten. Wo früher regelbasierte Systeme Metadaten ermittelten und vorschlugen übernehmen dies nun selbstlernende Systeme mit immer höherer Qualität.

  • Postkörbe und Elektronische Akten
    Ein Kernelement des Informationsmanagements, welches entweder vorhandene HR-Anwendungen ergänzt oder die gesamte HRM-Funktionalität abbildet, sind Virtuelle Akten und Kommunikationslösungen in Gestalt von Postkörben, die die Prozesse und Virtuellen Akten mit Daten und Dokumenten versorgen. Prozesssteuerung innerhalb von speziellen HR-Anwendungen stand hier immer schon in Konkurrenz mit Prozesssteuerungen in Workflow-, Postkorb- und BPM-Lösungen aus dem Portfolio des reinen Informationsmanagements. Neu KI-gestützte Techniken überwinden diese Konflikte und bringen neue Funktionalität in die elektronische Akte:
    • RPA Robotic Process Automation oder auch DPA Digital Process Automation ist eine Technologie, die ursprünglich nur nachverfolgte und automatisierte, was Menschen an Prozessen bisher manuell durchführten. Inzwischen kommen hier auch Techniken des Maschinenlernens zum Einsatz, die selbstständig Prozesse nachbessern, als Standards anderen Benutzern vorschlagen und viele Zwischenschritte automatisieren. Sie verbinden dabei unterschiedliche Anwendungen und Funktionen in verschiedenen Systemen.
    • Virtuelle Akten-Sichten müssen zukünftig nicht mehr vordesignt werden. Auch die manuelle Erarbeitung, Implementierung und Pflege von Aktenplänen wird automatisiert. Lernende KI-Systeme durchsuchen alle Anwendungen und Speicherorte, analysieren Daten, Ablagen und Prozesse, und entwickeln auf dieser Basis selbst Ablagestrukturen, die der Realität der Informationen und Informationsnutzung entsprechen. Die Virtualität der Strukturen, gesteuert über Metadaten, Berechtigungen, Klassen, Stammdaten, Prozessdaten usw., erlaubt dabei einfache, Anwendergerechte Nutzungsmodelle.

  • Erschließung der Information
    Gerade beim Erschließen von Informationen über Suche, Retrieval und Navigation spielt KI inzwischen eine entscheidende Rolle. Es geht nicht nur um das Nutzerverhalten und die Bedürfnisse des Anwenders sondern um die Informationsqualität selbst. Hier finden sich verschiedene Ansätze:
    • Suchanfragen können, ebenso wie bei der Erfassung klassifiziert und intelligent interpretiert werden, um richtige, übersichtliche Ergebnisse zu erzeugen. Gleichermaßen werden Ergebnis-Listen über verschiedene Systeme hinweg klassifiziert, ausgewertet, komprimiert und gewichtet dem Anwender zur Verfügung gestellt. Bei relativ eindeutigen Ergebnissen – dies lernt die Software über Auswertung und autoML – wird genau das richtige, gewünschte Ergebnis zur Verfügung gestellt. Dabei spielt es auch kaum noch eine Rolle, ob diese Daten aus einer geordneten Index-Verwaltung oder aus den Informationen selbst stammen.
    • Informationsobjekte werden mit KI und Analytics in ihre Bestandteile zerlegt und neu zu Wissen kombiniert. Der Anwender muss nicht in einem Dokument, dass er aus einer Ergebnisliste aufgerufen hat, weitersuchen oder blättern, sondern erhält als Daten zusammengestellt und verlinkt, genau die gewünschten Details und Abschnitte aus den gefunden Dokumenten. Dies steigert die Effizienz der Nutzung von Dokumenten erheblich.
    • Durch KI mit ML Machine Learning und Analytics können jetzt auch endlich die Schatten-Daten im Unternehmen ausgewertet und konsolidiert werden. Dabei geht es nicht nur um das Thema ROT „redundant, outdated, trivial“ sondern auch um die Auswertung von Protokollen und Audit-Trails, Sicherheitskopien, und anderen Beständen.
  • Compliance & der Wert der Information
    KI Künstliche Intelligenz mit Analytics- und eDiscovery-Funktionalität erhält den Wert der Information. Unterschiedliche, zum Teil konkurrierende rechtliche Anforderungen machen ein effizientes Informationsmanagement mit entsprechender Dokumentation von Orten, Nutzung, Rechtscharakter und Wert der Information notwendig. Analytics und eDiscovery-Funktionalität wird durch Machine Learning ergänzt. Hier helfen KI-basierte Technologien auch in heterogenen, schwach strukturierten Informationsbeständen weiter:
    • Die Ermittlung von Informationen, die der DSGVO/GDPR unterliegen, erfolgt bei den meisten Organisationen nachträglich, weil beim Design von Lösungen, Datenbanken und Archiven nicht berücksichtigt werden konnte. Hier kommen auch selbstlernende Mechanismen zum Einsatz, die der Entwicklung der Informationsbestände über die Zeit Rechnung tragen.
    • Informationslandkarten, in denen verzeichnet ist, welche Information, mit welchen Berechtigungen, Inhalten, Eigentümern, Redundanz, Wert, usw. wo vorhanden ist, können durch Analyse-Programme erstellt und für die Zukunft gepflegt werden. Solche Landkarten sind nicht nur für die DSGVO wichtig sondern auch für steuer- und handelsrechtliche relevante Daten, Informationen die ISO-9001-zertifizierten Prozessen unterliegen, und andere branchenspezifische Compliance-Anforderungen.

In diesen Aufgabengebieten unterstützt KI Künstliche Intelligenz und ML Machine Learning zukünftige wie auch vorhandene Anwendungen. Letztere werden ergänzt oder unabhängige Werkzeuge machen sich an deren Daten oder legen sich über die Oberflächen. Von einer tiefen Integration sind wir noch weit entfernt, aber die Entwicklung beschleunigt sich von Jahr zu Jahr.

KI & „menschliche Ressource“

Angesichts der zunehmenden Automatisierung muss man sich natürlich auch mit den Arbeitsweisen und den Aufgaben der Anwender auseinandersetzen, die durch solche Automatisierungswerkzeuge unterstützt werden. Dort, wo die Software die Nutzer unterstützt, bei zeitintensiven oder stumpfsinnigen Prozessen, sind keine Probleme zu erkennen – außer, dass Gefühl, was schnell ist, wird noch einmal geschärft und in den „Unter-1-Sekunde-am-Bildschirm-Erwartungshorizont“ gedrückt. Problemtisch wird es dort, wo Anwender in Ihrer Rolle bevormundet oder gar ihres Arbeitsplatzes beraubt werden.

Hier macht zunehmend die Vision vom „Software-Roboter als Kollege“ die Runde. Mitarbeiter sollen lernen, mit der Software zusammenzuarbeiten und keine Angst vor ihr zu haben. Schnell wird hier auch der Software-Roboter in eine virtuelle Person transformiert, mit der man sich im Zweifel anfängt zu unterhalten. Diese Vision betrifft alle Aspekte der zukünftigen „New Work“ wo Software und Mensch interagierend Aufgaben und Vorgänge zusammen bearbeiten. Wo die Automatisierung im Hintergrund und Untergrund der Systeme erfolgt, merkt dies der Anwender selten und wenn, dann eher mit Skepsis, was denn da an automatischen Prozessen „hinter seinem Rücken“ so alles passiert

Um den Software-Roboter als Kollege wahrnehmen und akzeptieren zu können ist also viel Veränderungsmanagement notwendig. Und wenn wir die Vision des Kollegen Software-Roboter ehrlich nehmen, dann müssen wir auch am HR-Konzept Grundsätzliches verändern. Letztlich sind Menschen und Software-Roboter aber in Hinblick auf die Verwaltung beide nur Ressourcen.

HR und der Software-Roboter als Ressource

HR-Software verwaltet menschliche Ressourcen. Natürlich ist sie auch in der Lage, die Software-Programme, die der Anwender nutzt und worauf er Berechtigungen hat, mit zu verwalten. Es sind Werkzeuge des Mitarbeiters. In dem Moment aber, wo wie Software-Roboter als Kollege begreifen sollen, müssten diese eigentlich auch als „Robot-Ressourcen“ im HR auftauchen. Hier wären dann die Menschen, die diese Software nutzen, die zugeordneten Elemente. Der Software-Robot hätte seine eigenen Merkmale wie z.B. „Weiterbildung“ in Gestalt von Updates und Ergänzungen, sein „Gehalt“ in Gestalt des Betrages, den das Unternehmen als Äquivalent für die ersetzte menschliche Arbeitskraft nimmt (und zukünftig versteuert …), usw. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Letztlich geht es um die Zusammenführung und Verwaltung aller Ressourcen gemeinsam, die die neue Arbeit ausmachen. Software-Roboter werden so nicht mehr (nur) in technischen Übersichten gepflegt sondern werden Bestandteil der H&R-M, dem Human & Roboter-Management. Dieses ließe sich mit wenigen Ergänzungen in traditioneller HR-Software umsetzen.

Interessant wird es aber nun besonders durch eben KI Künstliche Intelligenz und ML Maschinenlernen, selbstlernende Systeme. Werden diese am Arbeitsplatz bezogenen genau auf einen einzelnen oder eine kleine Gruppe menschlicher Mitarbeiter eingesetzt, entwickeln sie sich individuell weiter. Ein Verzeichnis aller Standard-Software und derer Nutzer langt hier nicht mehr. Es werden sich zunehmend individuelle digitale Arbeits-Zwillinge herausbilden. Spätestens dann muss die „Ressourcen-Verwaltung in der Lage sein, diesen nun individualisierten digitalen Kollegen des jeweiligen Mitarbeiters mit zu managen. Und es wird durch die verschiedenen Rollen eines Mitarbeiters im Unternehmen nicht bei dem einen Zwilling bleiben.

Daher macht es bereits heute Sinn, sich über generelle Paradigmenwechsel und deren Auswirkungen im Human-Ressource-Management Gedanken zu machen. Wenn die KI, wenn der Software-Roboter wirklich Kollege werden soll, dann muss er auch so behandelt werden. Auch in der HR-Software.

Dr. Ulrich Kampffmeyer

Curriculum auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Kampffmeyer

Ein Kommentar zu “Human Resource & Künstliche Intelligenz

  • Maschinelle Intelligenz sollte "humankompatibel" sein
    3. Juni 2020 um 20:57
    Permalink

    Ich gehe vollständig einig mit dem Kommentar von Ulrich Kampffmeyer, dass roboterisierte KI als eine ergänzende und unterstützende Ressource für analoge Menschen verstanden werden sollten. Die KI (ich bevorzuge wie Reinhard Sprenger den Begriff „maschinelle Intelligenz“) bewegt sich zur Zeit noch in engen Bahnen einer sog. kontrollierbaren „Narrow AI“ in den Bereichen BigData Analytik, „Industrierobotik“, „smart home“, beherrschbare „mobility“, persönliche Assistenten, Automatisierung von Prozessen im Informationsmgmt wie U.Kampffmeyer oben beschreibt (Analytics, eDiscovery) etc. Von einer „general-purpose AI“ oder Superintelligenz sind wir noch sehr weit weg. Der Bestseller von Stuart Russell (2019): Human Compatible. AI and the problem of control macht eine sehr breite Auslegeordnung zur Gegenwart und Zukunft von AI. mehr dazu hier: https://informationgovernance.ch/stuart-russell-human-compatible-ein-paar-anmerkungen-zu-einem-bestseller-2019/
    der Wissensbegriff fällt dabei wie üblich bei Forschern aus dem Gebiet der Informatik unscharf aus und lässt neuere Forschungsergebnisse der semantischen Technologien unbeachtet.

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