Das Große Aufräumen

20. Mai 2020 17:24 Uhr  |  Dr. Ulrich Kampffmeyer  |  Permalink


Im Zuge der Corona- und Covid-19-Krise hat sich Deutschland in die Digitalisierung mit Heimarbeit, Heim-Training und Video-Konferenzen gestürzt.

Nun ist das“Große Aufräumen” der adhoc entstandenen Lösungen, das Nachziehen des Datenschutzes und der Organisation geordneter Ablage und Prozesse angesagt.

Der Schwenk auf virtuelles, digitales Arbeiten von Zuhaus und Unterwegs hat die Digitalisierung in Deutschland befeuert. Projekte, die sonst Jahre der Vorbereitung, Produktauswahl und Einführung benötigten, wurden quasi über Nacht umgesetzt. Dies betrifft besonders drei Genres: die Team-Arbeit, auch als Collaboration bekannt, und das Video-Conferencing. Beides gibt es natürlich auch zusammen. Parallel war die dritte Herausforderung für die IT-Abteilungen, die On-Premise-Anwendungen auch für den Heimarbeits- und den mobilen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Letztere Kategorie war besonders für diejenigen Unternehmen ein dickes Arbeitspaket, die bisher noch keinen Online-Zugriff auf ihre Anwendungen erlaubt hatten. Sicherheitsanforderungen beim Zugang ließen sich nur unter Schwierigkeiten umsetzen. Per Webbrowser oder über eine VPN-Lösung auf die Anwendungen zuzugreifen, waren häufig noch die geringsten Probleme (wenn man denn genügend sichere Leitungen hatte). Für die Bereitstellung oder Mitnahme von Papierakten mussten neue Richtlinien erstellt werden und so mancher saß dann auch im Home-Office mit den Akten aus seinem Büro. Es klappte den Umständen entsprechend, für alle diejenigen, die schon vorher fast vollständig am PC-Arbeitsplatz im Büro dahinvegetiert hatten. Nun kamen noch die Performance-Engpässe der deutschen Leitungsversorgung, die schreienden Kinder, das Home-Schooling und der der Toilettenpapier-Mangel hinzu. So hatte man sich in all den glühenden Visionen der Evangelisten den Heimarbeitsplatz und seine Einführung nicht vorgestellt.

Doch man machte halt das Beste daraus. Beim Video-Conferencing waren mit einem Mal Produkte wie Zoom auch in Unternehmen angesagt – auch wenn diese zuvor durch jeden Sicherheits- und Datenschutztest durchgerauscht wären. Viele setzten gleich auf Microsoft Office365, das mit teams auch Video-Meetings (na sagen wir, für 5 Teilnehmer) beinhaltet. Aber auch hier gab es Warnungen (die nicht beherzigt wurden). Bei Collaborations-Werkzeugen lag natürlich Microsoft mit einem weltweit gigantischem Wachstum vorn. Aber auch andere Produkte konnten reüssieren. Selbst ECM war mit einem Mal wieder angesagt. Und sicher hat das Thema Cloud, sei es als IaaS, PaaS oder SaaS wieder massiv Auftrieb erhalten.

Bei all diesen Maßnahmen stand im Vordergrund, überhaupt schnell eine technische Lösung zu erhalten. Sicherheit und Datenschutz wurden so weit möglich berücksichtigt. Aber das Thema einer geordneten Ablage ging katastrophal unter. Sofern man direkt auf den Systemen des Unternehmens arbeitete und die Leitungen „dick“ genug waren, war dies nicht so problematisch. Aber überall, wo man auf die Schnelle Teams einrichtete mit eigenen Repositories, wo man in Conference-Sessions Dokumente einhängte, wo man vermehrt über E-Mail Dokumente austauschte, einfach mal so EFSS-Plattformen wie Box, Dropbox & Co. nutzte oder anfing mit OneDrives herumzuspielen, entwickelt sich schnell ein Chaos. Dazu kommt, dass viele der neuen Heimarbeiter auf diese Verfahren und deren Nutzung in keiner Weise eingeübt waren. Dies zeigt auch das rapide Ansteigen der Nutzungsdaten von Hilfe-Videos auf den Anbieter-Plattformen wie auch auf Youtube. Zusammengenommen eine sehr kritische Melange. Unternehmen, die bereits vor der Krise Probleme mit ihrem Ablage-Management, kein richtiges Records-Management und keine eingeübten Ordnungssystematiken und -Prozesse hatten, sahen jetzt noch schlechter aus.

Ein freudiges Lächeln huscht über die Lippen der Anbieter von Informationsmanagement-Lösungen – Berater wie auch Systemintegratoren und besonders Anbieter. Ein Boom steht nicht nur bevor, er läuft bereits. Die Krise zeigt allen deutlichst, dass elektronische Informationsverfügbarkeit und deren Nutzung unabhängig von Zeit, Ort, Quelle und ursprünglichem Nutzer unerlässlich sind. Hier können wir die alten Slogans aus den Zeiten von elektronischen Archivierung, Dokumentenmanagement, Enterprise Content Management, Information Management generell, wieder aus der Schublade ziehen. Endlich wird allen klar, wie wichtig die Verfügbarkeit und die Nutzbarkeit elektronischer Information geworden ist.

Die wichtigste Aufgabe zur Zeit und für eine lange Zeit nach der Krise ist erstmal wieder Ordnung in den adhoc entstandenen Wildwuchs zu bringen. Für die notwendigen Aktivitäten gibt es zwei Zielrichtungen: das gewachsene Chaos der Corona-Zeit zu sichten und zu systematisieren, sowie zum Zweiten die vorhandene Ordnung auf Nutzbarkeit bei Heimarbeit und mobilen Tätigkeiten zu prüfen, um dann die Informationen aus der Corona-Zeit einzuordnen:

(1) Analyse der Ablage während der Einführung der Heimarbeit

  • Speicherorte und Einordnungsverfahren bei E-Mail, Collaboration, Conferencing, Dokument-Erstellung, etc.
  • Ermittlung des Umfanges korrekter und inkorrekter Einordung und Ablage
  • Auswertung vorgegebener und selbst/adhoc entwickelter Prozesse während der Einführung mobiler und Heimarbeit in Bezug auf Effizienz und Effektivität
  • Zusammenfassung als „Lessons Learned“
  • Vorbereitung der Neu- und Einordnung von Informationen aus der adhoc-Tätigkeit

(2) Umsetzung Regelbetrieb für Heim- und mobiles Arbeiten

  • Überprüfung der Zugänge, Sicherheit und des Datenschutzes für standardmäßige Nutzung im Heim- und mobilen Betrieb sowie für mobile Devices wie Tablets, Mobiltelefone u.a.
  • Überprüfung der Ablage-Strukturen in Bezug auf einfache Nutzbarkeit durch alle Mitarbeiter
  • Schaffung einer durchgängigen Repository-Strategie, die auch temporäre Offline-Speicherung, Nutzung von Enterprise File Storage & Synchronisation (EFSS) Diensten, und Synchronisation mit Offline/Notebook/Mobil-Lösungen im Rahmen der Office-Kommunikation (z.B. OneDrive, Sharepoint-Ordner etc.) berücksichtigt.
  • Festlegung und Schulung von Prozessen zum Umgang mit Heim- und mobiler Arbeit sowie geeigneter Formen der Arbeit unterstützt durch Change-Management-Maßnahmen
  • Neuformulierung der IT- und Information-Management-Strategy mit Festlegung eines zukünftigen, geordneten Betriebes in hybriden Arbeitsformen mit Inhouse-Lösungen, Cloud-Lösungen, Heim-Arbeit, mobiler Arbeit und anderen neuen Formen der IT-Nutzung.
  • Überführung der adhoc-Maßnahmen sowie der in dieser Zeit gegebenenfalls entstanden ungeordneten Informationsbestände und Prozesse in einen geordneten Betrieb.

Letztlich geht es darum, das zu tun, was man bei einer systematischen Vorbereitung von verteilter, neustrukturierter Arbeit im Digitalen Zeitalter als Unternehmen sowieso tut oder tun müßte. Die Corona-Krise hat uns gezeigt, dass wir neue Strategien für die Nutzung von Information, die Einfachheit und Intuitivität von Lösungen, die Variabilität und Interoperabilität von Nutzungsmodellen mit Cloud, Hybrid und On-Premise, Unterstützung durch Automatisierung und Künstliche Intelligenz, spontane und flexible Rollout- und Update-Verfahren für Software, neue Management-Modelle für die Organisation und Führung, konsequentes Veränderungsmanagement auf allen Ebenen und viele andere Maßnahmen benötigen. Die Krise kann man daher lediglich als den Weckruf sehen, endlich Digitalisierung auf nationaler Ebene – z.B. Breitbandausbau, Anpassung von Gesetzen, Fördermaßnahmen für Digitalisierung & Zukunftstechnologien rund um KI – wie auch in den Unternehmen – z.b. neue Arbeitsmodelle, Automatisierung, Flexibilisierung, Weiterbildung – anzugehen. Es bleibt nach der Corona viel zu tun und auch hier gilt: nach der Krise ist vor der Krise. Die Abhängigkeit von der Richtigkeit und Verfügbarkeit von elektronischer Information ist bereits 100%. Schnelles, flexibles Agieren mit Unterstützung von Software ist heute im Wettbewerb entscheidend. Neue Formen der Arbeit und des sozialen Ausgleiches, um die Veränderung der Gesellschaft menschlich zu gestalten, sind notwendig. Es liegt an uns allen daran zu arbeiten, dass wir nach der Krise nicht in eine trügerische Normalität zurückfallen, sondern uns auf die immer drängenderen Fragen der Zukunft einrichten. Corona ist nur ein Weckruf.

Dr. Ulrich Kampffmeyer

Curriculum auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Kampffmeyer

3 Kommentare zu “Das Große Aufräumen

  • Kleine Bestätigung
    15. Juni 2020 um 17:18
    Permalink

    Wiewohl mir bewusst ist, dass auch unser Unternehmen wie viele andere noch Stück Weg zurücklegen muss beim Ausbau des Information Management, empfinde ich diesen Artikel doch als kleine Bestätigung dafür, dass wir auf dem Weg sind.
    Weit über 90% der Kollegen arbeiten seit drei Monaten aus dem Homeoffice, und das funktioniert im Grunde tadellos. Basis dafür ist natürlich, dass alle Mitarbeiter seit Jahren mit Firmen-Laptops und VPN-Zugang ausgerüstet sind,so dass sie von zu Hause fast wie im Büro arbeiten können und die beschriebenen Adhoc-Lösungen gar nicht erst gebraucht werden, der Aufwand fürs Aufräumen nach Corona also überschaubar sein wird. Frühzeitige Förderung einer Homeoffice-Kultur, verbunden mit einer schnellen Reaktionsfähigkeit (Verdopplung der VPN-Kapazität und Einführung von MS Teams innerhalb von zwei Wochen) haben geholfen, die neuen Herausforderungen erfolgreich zu managen.

    Antwort
    • Glückwunsch
      17. Juni 2020 um 13:15
      Permalink

      Lieber Herr Novak, da sind Sie besser aufgestellt als viele andere Anwenderorganisationen heute – Glückwunsch! Aber man muss sich hier auch auf andere Widernisse einstellen, dass z.B. ein monatelang vorbereiteter Anbieterwechsel nicht klappt und man tagelang ohne Telefon und ohne Internet auskommen muss. Hier haben Public Cloud Angebote Vorteile, weil man sie auf verschiedenen Wegen erreichen kann. Bis die Tage einmal, Dr. Ulrich Kampffmeyer

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