ECM in den Wolken

9. April 2011 22:00 Uhr  |  Dr. Ulrich Kampffmeyer  |  Permalink


ECM in den Wolken ist seit längerem ein Diskussionsthema in unserer Gruppe "Information & Document Management" auf XING: http://bit.ly/dJi1j3
Cloud Computing gilt als einer der wichtigsten aktuellen Trends – neben Mobile mit Apps und Social Business als Fortführung von Enterprise 2.0 und Social Media. So macht auch die Cloud nicht vor ECM Enterprise Content Management halt. Zumindest in den Aussagen der Marketiers und Analysten. Jedoch sind beide Begriffe – Cloud und ECM – sehr ambivalent und werden sehr unterschiedlich verwendet.

Begriffsklärung "Cloud" und "ECM"

Beim Thema „Cloud“ geht es um mehrere verschiedene Ansätze. Man muss hier zwischen der „Public Cloud“ und den internen „Private Clouds“ unterscheiden. In der Diskussion spricht man meistens über die öffentlichen Angebote. Cloud-Technologien als Fortführung von Virtualisierung und herkömmlichen Outsourcing unterliegen anderen Regeln. Auch sind die verschiedenen Angebote zu unterscheiden: IaaS, PaaS und SaaS.
IaaS Infrastructure as a Service bietet nichts weiter als Rechner-, Netzwerk- oder andere Infrastruktur. Die darauf laufenden Systeme liegen in der Verantwortung des Anwenders.
Bei PaaS Platform as a Service wird eine komplette Infrastruktur nebst Betriebssystem und Basis-Software bereitgestellt, die vom Anwender für sich adaptiert wird. Einer der wichtigsten Anbieter für IaaS und PaaS ist Amazon aber auch Google, Apple, IBM und andere sind in diesem Marktsegement unterwegs.
Nur im dritten und letzten Modell – SaaS Software as a Service – werden komplette fertige Anwendungen mit geringen Konfigurationsmöglichkeiten dem Anwender zur Verfügung gestellt. Diese nutzt diese entsprechend einem Mietmodell. Besonders im letzteren Fall muss sich der Anwender nicht um Verfügbarkeit, Betrieb, Updates, Skalierbarkeit etc. kümmern. Im Vergleich mit Inhouse-Lösungen macht dies das Leben leichter. Hier gibt es inzwischen, besonders auch getrieben durch den Markt für mobile Apps tausende von größeren und kleineren Business-Lösungen für die unterschiedlichsten Anwendungen.

Beim Thema „ECM“ sprechen wir von einer „eierlegenden Wollwilchsau“, einem Konglomerat an Funktionalität, das ständig erweitert und angepasst wird. Die Definition von PROJECT CONSULT und AIIM international sieht hier fünf Hauptkomponenten mit CAPTURE, der Informationserfassung, MANAGE, den eigentlichen Verwaltungs- und Nutzungskomponenten, STORE zur Speicherung und Erschließung der Informationen, DELIVER für das Outputmanagement und die Bereitstellung sowie PRESERVE für die langzeitige, revisionssichere Archivierung. Die MANAGE Komponente setzt sich wiederum aus zahlreichen Modulen, die sich ergänzen oder überschneiden können, zusammen. Hierzu gehören Records Management, die Schriftgutverwaltung; Document Management, das klassischen Dokumentenmanagement, welches heute vielfach mit SharePoint gleichgesetzt wird aber auch E-Mail-Management einschließt; BPM Business Process Management und Workflow; Collaboration mit Erweiterung in Richtung Social Media, Social Business und Enterprise 2.0; sowie WCM Web Content Management das heute kaum noch vom Web 2.0 und Digital Asset Management abzugrenzen ist.

ECM Angebote in der Cloud

Betrachtet man nun die verschiedenen Varianten der Cloud und die vielfältigen Komponenten von ECM dann kann man feststellen, dass bei Cloud als IaaS oder PaaS es sich im Wesentlichen um das Auslagern von Inhouse-ECM-Lösungen handelt. Business as usual. Neue Ansätze finden sich eigentlich nur in Teilbereichen von PaaS und besonders beim SaaS. Hier geht es um die Bereitstellung von verschiedenen Anwendungsszenarien, die ECM-Komponenten benutzen, als Software as Service.
Allerdings darf man nicht erwarten, dass man jemals ein komplettes ECM als SaaS-Lösung erhalten kann, denn ECM selbst ist ein Konzept, eine Vision, kein einzelnes Produkt. In den SaaS-Lösungen geht es zur Zeit daher um verschiedene Teilbereiche beziehungsweise um dedizierte Anwendungen von ECM-Komponenten.

ECM Store & ECM Preserve

Als Erweiterung des bereits seit längerem vorhandenen Angebotes von Speicherplatz werden inzwischen auch professionelle Archivplattformen angeboten. Dies beginnt beim einfachen aber besonders abgesicherten und langzeitig verfügbaren Speicherort, an dem der Anwender seine Daten ablegen kann. Neben einer einfachen „Festplatte im Internet“ existieren so auch spezielle Archivsysteme, die von Archivdienstleistern wie z.B. Iron Mountain betrieben werden. Letztere übernehmen auch das „Befüllen“ des Archiv und die hybride Verwaltung von Papier- und elektronischen Unterlagen. Zwischen diesen beiden Polen gibt es eine Vielzahl von Varianten.

Zu den eher spezialisierten Archivlösungen zählen E-Mail-Archive, die entweder direkt die Archivierung von Internet-basierten E-Mail-Accounts oder das Hochladen von lokal installierten traditionellen E-Mail-Systemen übernehmen. Einer der größten Anbieter ist hier Google mit den Postini-Archiv-Services. Nutzt man bereits einen Internet-basierten E-Mail-Dienst ist es natürlich wesentlich einfacher die Informationen auch gleich im Web zu archivieren als sie auf ein lokales System herunterzuladen und zu sichern. Auch DE-Mail will zukünftig allen DE-Mail-Nutzern einen sicheren Safe im Web bieten.

Lösungen wie Dropbox machen das Archivieren im Web zunehmend einfacher und bieten damit auch Lösungen zur Speicherung und Dokumenten-orientierten Kommunikation im Umfeld von Web 2.0 und Apps an. Gerade im Bereich der sogenannten modernen Web-2.0-Anwendungen fehlt es häufig an einer professionellen Verwaltung und Speicherung entstehender Daten und Dokumente. Die Mechanismen dieser Softwareprodukte orientieren sich aber nicht mehr den Nutzungs- und Bedienmodellen der bisherigen ECM-Software.

ECM Collaboration

Das sich am dynamischten entwickelnde – und auch vom bisherigen Enterprise Content Management  wegentwickelnde – ECM-Marktsegment ist die Collaboration. Hier sind längst Web 2.0-Technologie-Ansätze im Gebrauch, die sich von der Zusammenarbeit, dem gemeinsamen Nutzen von Informationen im Unternehmen absetzen. In diesem Umfeld reüssieren besonders die Social Community Ansätze, die ihren Weg als Social Business oder Enterprise 2.0 zunächst in die Intranets der Unternehmen gefunden haben und sich von dort auch in die Fachabteilungen ausdehnen. Hierbei stehen die IT-Verantwortlichen immer häufiger vor der Frage, diese Technologien selbst im Unternehmen zu betreiben oder externe Lösungen als PaaS oder SaaS zu nutzen.

Zwei Anwendungsbereiche sind hier Vorreiter: Projektmanagement und Kundenmanagement. Für das Projektmanagement mit externen Partnern werden häufig keine internen Systeme mehr aufgesetzt sondern auf Angebote wie ProjectPlace zurückgegriffen. Hier besteht dann aber häufig das Problem, die Ergebnisse zu dokumentieren und zu sichern. Noch interessanter ist der Ansatz des CRM weil es hier um das Wichtigste Gut eines Unternehmens, die Kundenkontakte, geht. CRM wird inzwischen für inetrne wie auch externe Anwender und die Kunden selbst um collaborative Elemente ergänzt, die sich in SaaS-Lösungen bereits finden.

ECM Document Management

Eine der wichtigsten Anwendungen des Bereiches ECM/Dokumentenmanagement ist die elektronische Akte. Auch hier geht es inzwischen um collaborative Ansätze und nicht mehr nur um die statische Bereitstellung eines Records Managements. In diesem Bereich sind sehr spezialisierte PaaS- und SaaS-Angebote verfügbar,  aus denen nur eines hervorgehoben werden soll: die Patientenakte. Es ist unbestritten dass gesundheitliche Informationen in einer Patientenakte zum schützenswertesten Gut gehören und dennoch ist gerade der Anbieter Google, neben anderen, der hierfür eine SaaS-Lösung anbietet. Die Vorteile liegen auf der Hand, die Informationen sind überall und jederzeit verfügbar. Aber wie steht es um die Vertraulichkeit der Informationen – eine Frage der wir uns weiter unten noch eingehender widmen wollen.

Ein anderer großer Softwareanbieter, Microsoft, greift ebenfalls an dieser Front an. Mit SharePoint innerhalb der Office365-Umgebung steht ein Dokumentenmanagement mit zusätzlichen Web-Content-Management-, Records-Management- und Collaborations-Funktionen zur Verfügung. Für viele kleinere und mittelständische Unternehmen reicht dies fast als ECM.

ECM BPM Business Process Management

SaaS-Lösungen haben immer dann keine Schnittstellenprobleme wenn alles in der Cloud läuft. Probleme entstehen meistens dann, wenn man Cloud-basierte Lösungen mit lokal installierter Software integrieren oder zumindest „reden“ lassen muss. Aber auch bei geschäftlichen Anwendungen macht sich SaaS breit. Als Beispiel soll hier Salesforce.com dienen, eine CRM- und ERP-Anwendung. In diese kann man bereits mit einfachster Handhabung über Browser oder App Dokumente hineinscannen und aus salesforce.com automatisiert alle Informationen in einem SaaS-Archiv ablegen. ECM-Technologien sind hier nur noch Infrastrukturkomponenten.

ECM als App

Einen besonderen Abschnitt verdienen natürlich die Apple iPhone- und iPad-Anwendungen der traditionellen ECM-Anbieter. Kaum einer der etwas auf sich hält hat nicht eine solche App im Programm. Bei vielen handelt es sich nur um einen Client der auf ein traditionelles Backbone-System zurückgreift. Es gibt aber auch zunehmend Anbieter, die nicht aus der Riege der herkömmlichen, arrivierten ECM-Anbieter kommen, die für privat und kleine Geschäftsleute komplette SaaS-basierte Lösungen anbieten. Vielfach wird aber auch der Nutzen von ECM-Lösungen auf iPads und iPhones angezweifelt. Ein Dokument ansehen oder collaborativ ein paar Nachrichten auszutauschen ist Standard, aber sich durch ganze Akten wühlen, komplexe Workflows laufen zu lassen oder sich mit dem Aktenplan der Schriftgutverwaltung herumzuärgern ist derzeit noch weit vom Anwendungsmodell der modernen „i“-Geräte entfernt

Akzeptanz und Markt

Das ECM-SaaS-Angebot ist vorhanden, wächst und wird immer professioneller. Auch die Akzeptanz steigt, zumindest außerhalb von Deutschland. Die aktuelle Marktstudie der AIIM international ( freier Download nach Anmeldung http://www.aiim.org/Research/Industry-Watch/State-of-the-ECM-Industry-2011 ) zum ECM-Markt 2011 zeigt, dass die Bereitschaft ECM-Komponenten als SaaS zu nutzen, besonders im angelsächsischen Raum steigt. Allerdings haben erst ca. 4% ein Outsourcing z.B. bei den elektronischen Archiven eingerichtet und AIIM rechnet mit einer Verdopplung im kommenden Jahr. Ähnlich wie Gartner sieht AIIM generell für SaaS- und Cloud-Anwendungen von ECM ein zukünftiges kontinuierliches Wachstum von rund 25%.. Allerdings gilt dies offenbar nicht für Deutschland. Eine aktuelle Untersuchung von iBusiness (kostenpflichtiger Download http://www.ibusiness.de/aktuell/db/250272jg.html) zeigt, dass die Akzeptanz für ECM in der Cloud in Deutschland noch sehr gering ist. Alle Studien zeigen, dass der Markt hier erst ganz am Anfang steht. Betrachtet man andere Bereiche der Cloud und besonders von SaaS stellt sich die Frage, warum dies bei ECM so besonders ist.

Neben der Komplexität von ECM-Lösungen spielt natürlich die Vertrauensfrage eine wichtige Rolle. Sowohl der BITKOM ( http:// http://www.bitkom.org/files/documents/BITKOM-Presseinfo_Leitfaden_Cloud_Computing_03_12_2010.pdf ) als auch die GI Gesellschaft für Informatik ( http://www.gi.de/presse/pressearchiv/pressemitteilungen-2010/pressemitteilung-vom-1-dezember-2010.html ) haben jüngst in Pressemitteilungen und Leitfäden auf die Risiken von Cloud-Lösungen hingewiesen.

An erster Stelle stellt sich die Vertrauensfrage zum SaaS-Anbieter – wie vertrauenswürdig, wie solide ist das Unternehmen. Weitere Fragen entzünden sich am Eigentum an den eigenen Daten – was passiert wenn man eine Rechnung des Anbieters nicht bezahlt und dieser verweigert einfach den Zugriff. Die Verträge mit SaaS-Anbietern sind häufig eine offene Flanke, da sich die Anbieter auf Verfügbarkeit und Zugang nur ungern „festnageln“ lassen. Eine weitere Frage ist die nach der Sicherheit des Transportes der Information zum und vom Anbieter sowie der Schutz der Informationen vor unberechtigtem Zugriff beim Anbieter. Anders als in der „Private Cloud“ sehen Datenschützer wie auch Verbände hier große Risiken. Auch jüngste Aktionen wie z.B. das Abschalten von Wikileaks durch Amazon auf deren Speicherplattform regen zum Nachdenken an.

Dem halten die Anbieter ihre Argumente entgegen: ständige Verfügbarkeit an jedem Ort der Welt rund um die Uhr. Und hier gibt es sicherlich einige gute Argumente wenn man sich die Performance und die Ausfallsicherheit von Anbietern wie Google oder Amazon ansieht. Kaum ein eigenes, Inhouse-betriebenes Rechenzentrum kann in Bezug auf Skalierbarkeit, 24/7-Verfügbarkeit, Sicherheitskopien, Verteilung etc. mithalten. Wenn die Preise stimmen, dann spricht aus dieser Sicht eigentlich alles für SaaS. Besonders wenn man bei, Kostenvergleich auch den Betrieb, die notwendigen Migrationen, das Personal, die Sicherheitsauslagerung etc.  über den Lebenszyklus der Informationen einrechnet.

Aber es werden nicht nur die Wirtschaftlichkeitsaspekte den Markt für ECM in der Cloud beflügeln. Die mobile Kommunikation verlangt nach Management-Lösungen für die Nachrichten, Dokumente, Videos, SMS, Chats usw. Diese in lokal installierten Inhouse-Lösungen zu sichern und zu verwalten ist bereits heute kaum noch möglich. Dies scheitert bereits vielfach an Formaten, Informationskanälen und Nutzungsmodellen. In dem Masse wie sich „Inhouse-Cloud“- und „Internet-Cloud“-Technologien  angleichen wird es immer einfacher werden zunächst vorhandene Lösungen aus dem internen Betrieb ins Web zu schieben – als IaaS oder PaaS – und dann in einem zweiten Schritt bei geeignetem Angebot auf SaaS Software as Service umzusteigen. Bei SaaS im Sinne von Storage as a Service geschieht dies bereits immer häufiger. Wenn man dann noch die Vertrauens- und die damit verbundenen Vertragsfragen in den Griff bekommt, dann hat ECM in der Cloud eine große Zukunft.

In eine ähnliche Kerbe schlägt auch ein aktueller Artikel auf SPIEGEL online: "Packen Sie Ihren Krempel in die Wolke" ( http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,753765,00.html ) im dazugehörigen Diskussionsfrum ( http://forum.spiegel.de/showthread.php?t=33265 ) gibt es zahlreiche Beiträge – jedoch keine fachlich fundierten aus den Reihen der ECM-Anbieter. Will man nicht nur die Diskussion sondern auch den Markt den Newcomern aus dem Webby-42-Umfeld überlassen? Der SPIEGEL-Artikel ist oberflächlich und noch oberflächlicher ist die Diskussion, die sich um die "üblichen Risiken" der Cloud dreht. Wenn man aber auf dieser Ebene bleibt und sich nicht mit den guten ECM-Inhouse- wie auch ECM-Cloud-Lösungen positioniert, dann darf man sich auch als Branche nicht wundern, wenn man bei Mobile, Apps, Cloud, SaaS und anderen "modernistischen" Themen hinterherblick!

Zur aktuellen Diskussion auf XING: http://bit.ly/dJi1j3

 

Dr. Ulrich Kampffmeyer

Curriculum auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Kampffmeyer

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