DOKlive: „Wissensgesellschaft – Deutschland im Abseits oder ist Deutschland ein Leader?“

24. September 2015 21:28 Uhr  |  Dr. Ulrich Kampffmeyer  |  Permalink


Das DOK.magazin wird auf der diesjährigen IT & Business mit Vorträgen und einer Panel-Diskussion stark vertreten sein. Das Motto der Session am 30.0.9.2015 auf der Forumsbühne ist "Digital Business. Die neuen Konzepte." Den Abschluss bildet die bekannt heiße Podiumsdiskussion mit den Moderatoren und Impulsgebern Dr. Ulrich Kampffmeyer, PROJECT CONSULT, und Reinhard Karger, DGI & DFKI.

Wissensgesellschaft: Deutschland bereits im Abseits?

Diese Podiumsdiskussion wird es in sich haben, denn bereits im Vorfeld gab es einiges an Diskussionsbedarf, angeheizt auch durch Birgit Reber, die Chefin vom DOK.Magazin. Das Thema der großen Runde mit den Referenten der Vorträge und "Special Guests" (Claudia Baumer, Chris Bouveret, Alexander Gesinn, Bernd Hoeck, Harald Huber, Kai Hussong, Dr. Ulrich Kampffmeyer, Reinhard Karger, Martin Lehofer und Dr. Frank Schönthaler) geht dabei weit über die sonst häufig funktional und technologischen Aspekte einer IT&IM-Messe hinaus. Es geht um die gesellschaftliche Zukunft, es geht um den Weg in die Wissensgesellschaft. Auch wenn die beiden Protagonisten zur Gestaltung der Runde konträre Positionen eingenommen haben, so sind sich beide jedoch einig in Hinblick, dass wir in Deutschland nur dann eine Chance haben, wenn wir den Weg in die Wissensgesellschaft beschreiten. Es ist ein harter und steiniger Weg, der uns in die nächste, die vierte industrielle, wie auch in eine gesellschaftliche Revolution führt. Eine Revolution, die alles verändern wird. Und offenbar sind nicht alle Menschen mental – und auch aus unserer Entwicklungsgeschichte heraus – schon bereit, diesen Weg zu gehen. Begleitet wird die Revolution von einem Stum von Schlagworten, die mit der Geschwindigkeit der Entwicklung kaum mithalten können und eher zur Verschleierung des Wandels beitragen: Digitale Transformation, Digital Society, Informationsgesellschaft, Wissensgesellschaft, usw. Als deutschsprachiger Begriff hat es die "Wissensgesellschaft" schwer. International werden andere Begriffe benutzt. Und natürlich sind die Begriffe Wissen und Wissensgesellschaft mit einem humanistisch-akademischen europäisch-deutsch geprägten Kulturbalast behaftet. Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier weit auseinander. Am nähesten kommt dem Begriff der Wissensgesellschaft noch die Information Society – aber hier streitet man sich dann bereits wieder gern darüber, ob den Information auch nur annähernd gleichwertig mit Wissen ist. So stellt sich auch die grundsätzliche Frage, ob eine digitale Ökonomie gleichbedeutend ist mit einer Wissensgesellschaft. Industrie und Verwaltung, das ganze Wirtschaftsleben, passen sich an die digitale Zukunft an. Aber bedeutet dies zugleich, dass auch die Gesellschaft, die soziale Gemeinschaft, die Menschen selbst in der digitalen Zukunft ankommen, dass man die digitale Ökonomie gleichsetzen darf mit der Wissensgesellschaft? Ich glaube, da gibt es noch Unterschiede – oder es sollte zumindest Unterschiede geben.

Übrigens – es gibt natürlich kostenfreie Eintrittskarten für die IT&Business in Stuttgart, um live bei der Panelrunde dabei zu sein: http://bit.ly/Eintritt-ITBusiness15

Am Anfang des DOKlive-Panels stand die These "Wissensgesellschaft: Deutschland bereits im Abseits?" von Ulrich Kampffmeyer – und dann ging die Diskussion auch schon los. Für die Ankündigung des Panels hieß es, einen Einführungsbeitrag mit jeweils maximal 1700 Zeichen für das DOK.magazin beizusteuern, der dann auch in der Ausgabe #4-15 erschien: links auf der Doppelseite "Wissensgesellschaft – Deutschland im Abseits?", rechts "Wissensgesellschaft – Deutschland ist ein Leader!". Einerseits um das "bereits" verkürzt (noch sind wir nicht im Abseits), andererseits positiv und exklamierend kontrastiert, jedoch mit leicht anglo-amerikanisiertem "Touch": "Leader" (aber eine führende Rolle spielen wir auf globaler Bühne schon nicht mehr, allenfalls noch in einigen Segmenten auf europäischer Ebene).

Hier nun Vorgeschichte und aktueller Status.

Reinhard Karger schreibt am 14.07.2015 an Ulrich Kampffmeyer

"Wissensgesellschaft… Deutschland in der ersten Reihe!

Die Klage ist des Kaufmanns Gruß – geklagt wird und Gründe gibt´s: Konrad Zuse hat den Computer erfunden, IBM ist damit zur Weltfirma geworden; das Fax kommt von Siemens und wurde dort verschlafen; der Apple Macintosh wurde von frog designt – frog, eine Abkürzung für Federal Republic of Germany. So ging es weiter. MP3 hat Apple und nicht Grundig reich gemacht.

Alles korrekt. So ist das als Exportweltmeister – und als Land der Ideen! Für Sir Jonathan Ive, der iPod und iPhone gestaltet hat, ist Dieter Rams, in den Sechzigern bei Braun für Formgebung verantwortlich, das große Vorbild. Das sollte uns gefallen. Apple rettet das Silicon Valley, die Internetgiganten retten die USA vor dem wirtschaftlichen Abstieg und erhalten damit Deutschland einen der größten Exportmärkte und den besten Handelspartner – mit einem Überschuss von 50 Milliarden Euro in 2014!

Aktuell kommt Industrie 4.0 aus Deutschland und ein Ergebnis könnte die Reindustrialisierung der USA sein – weil Deutschland nicht zuerst investiert und dann fragt, ob das Geschäftsmodell legal und legitim ist, weil Datensicherheit die Basis für Vertrauen ist und Geschwindigkeit zwar eine Chance für Plattformkapitalismus, aber kein Merkmal von Verlässlichkeit.

Wissensgesellschaft hat viel mit Wissensverarbeitung zu tun hat. Da ist Deutschland ein intellektueller und ein wirtschaftlicher Riese. SAP organisiert die Unternehmensabläufe der Welt und das Herz schlägt in Walldorf. Das ist medial nicht so leicht inszenierbar wie das nächste Smart Gadget. Aber Wissen ist der Rohstoff, Engineering die DNA – natürlich ist Deutschland als Wissensgesellschaft in der ersten Reihe.

Übrigens: Schöne Grüße vom Kaufmann, die Klage ist immer nur der Vorwand um bessere Konditionen zu verhandeln!"

 

Ulrich Kampffmeyer schreibt am 22.07.2015 an Reinhard Karger

"Wissensgesellschaft … Deutschland im Hintertreffen

Man muss es nicht zum x-ten Mal wiederholen – Deutschland ist rohstoffarm, und dennoch in der Industrie Exportweltmeister. Wir sind dies, weil wir mit Qualität und Innovation bestimmte Bereiche besetzen konnten. Doch diese Ära geht durch Digitalisierung und Automatisierung ihrem Ende zu. Denn wir müssen uns die Frage stellen, sind wir auch in der ITK, der Informations- und Kommunikationstechnologie Exportweltmeister? Mir fällt da im Moment nur SAP als Anbieter ein. Alle Basis-Technologien für die ITK kommen aus dem Ausland und uns bleibt unter Umständen nur die Rolle des "Veredlers" – sei Netzwerke, sei es Chips, sei es Mobile, sei es Cloud, sei 3D, sei es …

Aber bleiben wir bei der Frage des Wissens und der Wissensgesellschaft. Wissen wird fast ausschließlich als elektronische Information dargeboten, was bleibt ist Erfahrung und Weisheit als menschliche Eigenschaften. Unsere sogenannte Wissensgesellschaft glänzt mit Oberflächlichkeiten, dem Wischen über das mobile Device. Auch hier werden wir von den Automatismen der Gewinnung und Erschließung eingeholt und überholt. Noch sehen wir den Wegfall von hunderttausenden von Arbeitsplätzen gelassen entgegen, da wir beim demografischen Wandel  den Wegfall nicht merken. Aber was bleibt an Arbeit in den Büros? Alle hoffen, es bleibt der "Wissensarbeiter", der optimal von Software unterstützt, seinen Arbeiten nachgeht. Ein Irrglaube angesichts der zunehmenden Verlagerung unseres Gedächtnisses  – und auch der Entscheidungen – in Informationssysteme?

Lässt man den Pessimus einmal beiseite, muss man dennoch feststellen, dass wir bei der Vorbereitung auf den Wandel, den Eintritt in die Wissensgesellschaft, versagen.  In der Schule, an den Universitäten aber auch in der Weiterbildung in den Unternehmen und Verwaltungen. Die Wissensgesellschaft hat nicht nur mit Technik und ständig allerorten verfügbarer Information zu tun – sie ist besonders eine Kultur- und Verhaltensfrage der Menschen. Und im engeren Bezug auf die Fragestellung "Wissensgesellschaft" ist Deutschland bereits im Hintertreffen.

Und übrigens … Klagen heißt nicht, bessere Konditionen zu verhandeln – denn verhandelt wird längst nicht mehr. Der Zug rollt über uns hinweg und weil alles so schön bequem ist, genießen wir es. Trotz der Annehmlichkeiten Klagen heißt sich die Situation bewußt machen und vielleicht bei den der Klage Zuhörenden eine Reflektion zu erzeugen."

 

Soweitsogut. Dies war der erste Anlauf der Positionsbestimmung. Aber Birgit Reber ließ nicht locker und fragte nach konkreten Thesen, möglichst handlich, 3 Stück, jede 300 Zeichen lang. Und so ging es in die zweite Runde.

Reinhard Karger schreibt am 04.09.2015 an Ulrich Kampffmeyer:

"3 Bullets a 300 Zeichen und eine Ergänzung…

  • Dem Ingenieur ist nichts zu schwör!
    Deutschland wird gerühmt für seine Ingenieursleistungen. Und die Ingenieure ruhen sich nicht aus. Wir sind in Stuttgart: Beispiel Bosch! Alle sprechen von Elektromobilität und meinen Elektroautos. Bosch hat das E-Bike revolutioniert und pro Jahr werden in Deutschland 500.000 verkauft. Es fährt immer weiter und wird immer besser. So geht Innovation!
    https://www.wissenschaftsjahr-zukunftsstadt.de/neues-aus-der-wissenschaft/alle-aktuellen-meldungen/august/die-fahrradbranche-setzt-auf-e-mobilitaet.html
     
  • Industrie 4.0
    China ist die Fabrik der Welt, Deutschland der Maschinenbau. Im nächsten Schritt werden intelligente Maschinen in smarten Fabriken Massanfertigungen produzieren, aber nicht in Asien, sondern regional. Das reduziert die CO2-Emission, das reduziert die Lieferzeiten. Und wer hat´s erfunden? Drei deutsche Ingenieurswissenschaftler: Prof. Lukas, Prof. Kagermann, Prof. Wahlster! Sie glauben es nicht? Lesen hilft: http://www.dfki.de/web/presse/pressehighlights/industrie-4-0-mit-dem-internet-der-dinge-auf-dem-weg-zur-4-industriellen-revolution 
     
  • Start-up Wunder
    Da zieht London ein langes Gesicht: Berlin ist Europas Start-up Star: So viel Risikokapital wie noch nie: 1,4 Milliarden Euro in den ersten 6 Monaten (London 1,1) und warum? Weil die Atmosphäre stimmt und die Exzellenz, weil Kreativität die Kreativität befeuert, weil Deutschland das Land der Ideen ist!
    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/start-up-hauptstadt-warum-gruender-berlin-lieben-13771261.html

Übrigens!
Bis letztens warf man Deutschland noch kalten Perfektionismus und Überorganisiertheit vor. Jetzt schaut die Welt auf den BERliner Flughafen, die Elbphilharmonie Hamburg oder den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof und siehe da: Deutschland kann auch Chaos, kann mittlerweile lässig bei mehreren Großprojekten gleichzeitig jede Deadline reissen und jede Budgetvorgabe sprengen!"

 

Ulrich Kampffmeyer schreibt am 09.09.2015 an Reinhardt Karger

"nachgelegt … 🙂

>  Rückständige Kommunikationsinfrastruktur als Hemmschuh für die Wissensgesellschaft!
Die Kommunikation und der Zugang zum Internet sind in Deutschland ein Drama. Deutschland zahl die höchsten Tarife bei den langsamsten mobilen Verbindungen. Die Pläne für den Breitbandausbau sind in Bezug auf die angestrebten Transferraten ein Hohn. Über die Sicherheit der Kommunikation wird viel geredet, aber in der Realität passiert nichts. Eine Wissensgesellschaft ohne kostengünstige, barrierefreie und schnelle Netzzugänge funktioniert nicht.

>>  Mangelnder Einsatz moderner Medien in der Bildung schafft keinen ausreichenden Nachwuchs für die Wissensgesellschaft! 
Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland beim Einsatz von Medien in der Schulbildung drastisch hinterher. Dies beginnt mit der Ausstattung der Schulen und endet bei der Ausbildung der Lehrer. Alle reden von der kommenden Generation der Digital Natives, die aber nicht mehr können, als über Mobile und Tablet zu wischen. Eine Wissensgesellschaft ohne junge Menschen, die verantwortungsvoll mit Technologien umgehen können und Verständnis für die technischen Grundlagen haben, hat keine Entwicklungschance.

>>>  Regulativer Verhau mit Sonderlocken verhindert die Entwicklung der Wissensgesellschaft!
Deutschland leistet sich in der Kommunikation und im Informationsmanagement Sonderlocken, die niemanden sonst interessieren und uns von der weltweiten Entwicklung abkoppeln. Gerade im E-Government mit verkorksten Gesetzen, Signaturen, technischen BSI-Richtlinien, De-Mail und anderem Schrott wird eine vernünftige Kommunikation und Zusammenarbeit mit Bürgern, Unternehmen, Öffentlichkeit usw. drastisch behindert. Informationstechnik ist für die Politik Neuland. Politik und öffentliche Verwaltung müssen das Vorbild und den Rahmen für eine funktionierende Wissensgesellschaft liefern.

>>>>  Mangelnde gesellschaftliche Auseinandersetzung macht eine Wissensgesellschaft unmöglich!
Für eine emanzipierte Wissensgesellschaft ist ein gesellschaftlicher Diskurs notwendig, der in Deutschland nicht stattfindet. Die Digitale Transformation bleibt so lange ein inhaltsleeres Schlagwort, wenn nicht alle Betroffenen sich mit Vorteilen und Auswirkungen auseinandersetzen, wenn die Mehrheit nicht versteht warum es geht, wenn sich das Wissen und die Nutzung des Wissens auf wenige beschränkt, wenn niemand die sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen bewußt macht. Ohne das Wissen um die Zusammenhänge und deren bewußte Adaption kann es keine Wissensgesellschaft geben.

>>>>>  Wissen hat offenbar keinen Wert mehr, aber ohne Wertschätzung des Wissens keine Wissensgesellschaft! 
Alle erwarten einerseits, dass alle Information im Netz frei und kostenfrei verfügbar ist. Der Information wird so nur ein geringer Wert zugemessen. Wissen ist eine wirtschaftliche Ressource. Qualitätsvolles Wissen braucht Kuratoren und dies kostet Geld. Und diejenigen, die das fundierte Wissen bereitstellen könnten, vermauern sich und sägen am Ast, auf dem sie sitzen. Das Leistungsschutz- und Urheberrecht ist hier ein Beispiel, wie sinnvolle Informationsbereitstellung verhindert werden kann. Ohne dem Erkennen des Wertes von Wissen, ohne verantwortungsvolles Teilen von Wissen, kann es keine Wissensgesellschaft geben.

>>>>>>  Eine Wissensgesellschaft ist eine aktive Gesellschaft!
Die Trägheit und Bequemlichkeit greift um sich, der Wohlstand und das Eigeninteresse verhindern den Aufbau einer Wissensgesellschaft. Wissen ist die einzige Ressource, die mehr wird, wenn man sie teilt. Das geteilte Wissen in unserer Internetwelt ist aber oberflächlich und von Manipulation durchsetzt. Wissen wird kommerziellen Interessen zum Nutzen weniger untergeordnet. Menschen vermeintliches Wissen zu geben und sie zugleich unwissend und unmündig zu halten, verhindert eine aufgeklärte Wissensgesellschaft.

>>>>>>>  Wir haben die Mittel für das Wissen aus der Hand gegeben und uns der
Grundlagen für eine eigenständige Wissensgesellschaft beraubt!
Man muss nicht in die Geschichte der Datenverarbeitung zurückgehen, wo Deutschland einmal mit eigenen Betriebssystemen, eigenen Computern, eigenen Telefonie-Entwicklungen führend war. Die wesentlichen Innovationen zur Aufbereitung und Erschließung von Wissen kommen aus dem Ausland. Wir haben das Handwerkszeug anderen überlassen und unsere sogenannten Innovationen sind nur Stückwerk oder Marketing-Slogans. Wenn es denn einmal eine Wissensgesellschaft in Deutschland gibt so wird 100% von den Produkten und Technologien anderer abhängen.

>>>>>>>>  Wissensgesellschaft ist nur ein Marketing-Schlagwort!
Wir haben keine Wissensgesellschaft und bekommen auch keine mehr. Das Schlagwort Wissensgesellschaft wird uns nicht aus der Falle retten, in der wir als Rohstoffarmes Land mit Industrien, die nach den Paradigmen des vergangenen Jahrtausends arbeiten, uns befinden. Blasige Modeworte wie "Industrie 4.0", "Digitale Transformation" und eben "Wissensgesellschaft" verstellen uns den Blick auf die realen Herausforderungen. Uns holen wirtschaftlich und gesellschaftlich ganz andere Probleme ein – und die immer schnellere Entwicklung draußen im Netz holen wir mit unserer deutschen bürokratischen Mentalität sowieso nicht ein. Vielleicht sollten wir den abgehobenen, anspruchsbesessenen, akademischen Begriff Wissensgesellschaft einfach vergessen."

 

Reinhard Karger antwortet am 10.09.2015 Ulrich Kampffmeyer

"Und hier der Schlagabtausch

Kampffmeyer: > Rückständige Kommunikationsinfrastruktur als Hemmschuh für die Wissensgesellschaft!
Re Karger: Natürlich kommt wieder das Argument Breitbandinfrastruktur, natürlich kommen wieder Klagen – aber im Kontext Wissensgesellschaft sind sie fehl am Platz. Warum? Für die Übermittlung von Wissen ist die entstehende Infrastruktur bestens geeignet. Gute Ideen brauchen wenig Bandbreite – Für MOOCs reicht´s. E-Health-Lösungen brauchen mehr Bandbreite, stimmt, und daran muss gearbeitet. Stichwort 5G. Virtuelle Gildenrollenspiele und 4K-Videoentertainment brauchen viel Bandbreite – aber wir reden doch gar nicht über die Unterhaltungsgesellschaft.

Kampffmeyer: >> Mangelnder Einsatz moderner Medien in der Bildung schafft keinen ausreichenden Nachwuchs für die Wissensgesellschaft!
Re Karger: Vielleicht sollte man mehr Medien in der Schulbildung einsetzen; vielleicht auch nicht. Bisher ist nicht belegt, dass der intensivere Einsatz von digitalen Medien die Qualität der Bildung oder den Bildungserfolg steigert. Möglicherweise behindert die multimediale Vielfalt sogar das Lernen und ist mehr Ablenkung als Fortschritt. Auch Digital Natives lernen den verantwortungsvollen Umgang mit Technologie durch den verbalen, nicht den multimedialen Dialog im Unterricht – denn es geht primär um Verantwortung und nicht um Technik, da muss man Denken lernen – für den Rest gibt es Bedienungsanleitungen.

Kampffmeyer: >>> Regulativer Verhau mit Sonderlocken verhindert die Entwicklung der  Wissensgesellschaft!
Re Karger: Alles online, alles prima. Aber hier geht es um Wissensgesellschaft und nicht um Verwaltung oder E-Government. Wir werden nicht deshalb mehr wissen und bessere Ideen haben, wenn wir schneller unsere Haustiere anmelden können.

Kampffmeyer: >>>> Mangelnde gesellschaftliche Auseinandersetzung macht eine Wissensgesellschaft unmöglich!
Re Karger: An allen Ecken wird diskutiert über die digitale Gesellschaft und den digitalen Wandel, über Transition und Transformation. Angebote gibt´s, genutzt werden sie weniger intensiv, als man es erwarten würde oder gehofft hätte. Das Land der Ingenieure hat bei der Innovationsfreude nachgelassen, da müssen wir die Mittelschicht reaktivieren! Und die Neugier feiern!

Kampffmeyer: >>>>> Wissen hat offenbar keinen Wert mehr, aber ohne Wertschätzung des Wissens keine Wissensgesellschaft!
Re Karger: Jeder hofft für ein Gut oder eine Leistung möglichst wenig zu bezahlen. Das weiß jeder Discounter. Niemand erwartet, dass etwas umsonst ist, aber jeder erwartet, dass man auch bezahlen kann, wenn man denn bezahlen muss. Also: Her mit Micro-Payment. So werden Inhalte gratis zur Verfügung gestellt oder hinter eine Pay-Wall versteckt, die man nur überqueren kann, wenn man hier einen Account eingerichtet und dort eine Kreditkarte hinterlegt hat.

Kampffmeyer: >>>>>> Eine Wissensgesellschaft ist eine aktive Gesellschaft!
Re Karger: Die Informationsquellen sind schier unbegrenzt. Informationskompetenz leider noch keine Kernkompetenz. Für die Interessierten gibt es traumhafte Ressourcen mit reichlicher und reichhaltiger Information. Lesen hilft! Das ist anstrengend, aber auch bildend – und die Bildungselite, die die Wissensgesellschaft im Kern befruchtet, ist immer noch eine Elite. Wissenserwerb ist – leider – kein Breitensport. "Denk´mal nach" muss das neue “Trimm´ Dich" werden.

Kampffmeyer: >>>>>>> Wir haben die Mittel für das Wissen aus der Hand gegeben und uns der Grundlagen für eine eigenständige Wissensgesellschaft beraubt!
Re Karger: Das Interessante an der Wissensgesellschaft ist gerade die Zusammenarbeit und die Grenzüberschreitung. Das Internet hat Kreativität weltweit digital entfesselt. Keiner ist mehr eine Insel! Muss jeder jede Technologie selber und zu 100% in seiner Nation (re-)produzieren können. Das wäre zu diskutieren und nicht vorauszusetzen. Eine Analogie: Individuelle Mobilität ist ein wichtiges Thema und ein großes Bedürfnis, aber Dänemark ist auch ohne eigene Automobilindustrie eine erfolgreiche Wohlstandsgesellschaft und belegt immerhin Platz 3 von 158 Ländern im World Happiness Report 2015 http://worldhappiness.report/wp-content/uploads/sites/2/2015/04/WHR15.pdf

Kampffmeyer: >>>>>>>> Wissensgesellschaft ist nur ein Marketing-Schlagwort!
Re Karger: Wir sind eine Wissensgesellschaft, sitzen in keiner Falle, sind ein starker Player in einem globalen Wettbewerb – da kann man nicht in jeder Disziplin gewinnen. Deutschland ist mit seinem 1 Prozent der Weltbevölkerung erstaunlich klein und erstaunlich erfolgreich. Industrie 4.0 ist kein Modewort, sondern ein begriffliche Verdichtung und meint die nahtlose Verschränkung von Produktions- und Geschäftsprozessen, das Internet der Dinge und die neuen Chancen für die digital veredelte Industrieproduktion. Maßanfertigung wird wieder möglich und bezahlbar, lokale oder regionale Produktion wird unterstützt. Wir werden u.a. lernen müssen, in gemischten Teams aus Menschen und Robotern, Ziele zu erreichen. Das verändert die Produktion ist aber unumgänglich, um Ressourcen auf dem Meeresboden abzubauen, um den Pflegenotstand zu mildern oder um die abgeschalteten Atomreaktoren in Deutschland und um Fukushima in Japan zu entsorgen.

… To be further discussed…."

 

Hier zog dann die Redaktion des DOK.magazins die Notbremse – drucktechnisch betrachtet, nicht inhaltlich. In der kommenden Ausgabe gab es nur den Platz für die ursprünglich einmal vorgesehenen 3×300 Zeichen. Also wurde um Kürzung gegebeten – nicht acht Punkte sondern drei, keine zusätzlichen Anmerkungen außerhalb der drei Bullets. Natürlich "schrieen" die Kontrahenten auf: "… ich bin da ganz auf unserer Seite. Ehrlich, wir sollten lieber so weitermachen, denn langsam wird es interessant. Nicht kürzen, sondern würzen!!! Nicht editieren, sondern debattieren! @Redaktion Was sagen Sie? Es geht doch bestimmt nicht um quantitative Petitessen, sondern um den sprühenden Dialog – der rollt und ich kann kaum auf die Kampffmeyersche Erwiderung warten!" . Im digitalen Zeitalter ist es da leicht reden, da die Seite als drucktechnische Einheit gemessen in Papier, keine Rolle spielt. Also kam es wie es kommen musste. Auch Dr. Kampffmeyer bequemte sich freiweillig seine von ihm selbst postulierten drei Bulletpoints einzuhalten.

Ulrich Kampffmeyer schreibt am 10.09.2015 an Reinhard Karger

"Meine Endfassung meiner 3 Bullets a „300 Zeichen“ in etwas philosophischerer Form"

  • Im Begriff Wissensgesellschaft steckt der Begriff Wissen. Wissen ist eine Dimension jenseits der Information, wo es beim Wissen um die Nutzung und die Umsetzung der Erkenntnisse geht. Eine Wissensgesellschaft geht bewusst mit Wissen um und erkennt Wissen einen hohen Wert zu. Dies ist in Deutschland nicht der Fall, da eine tiefer gehende, öffentliche und weitausgreifende Diskussion um den Wert von Wissen, die Abhängigkeit von der Verfügbarkeit von Information und deren Richtigkeit nicht stattfindet. Information wird als gegeben konsumiert aber die Umsetzung als Ressource für eine Gesellschaft jenseits der Industriegesellschaft fehlt noch. Eine Wissensgesellschaft ohne Reflexion und Eigenerkenntnis ist nur eine Fata Morgana einer Wissensgesellschaft. Da ist es ehrlicher, sich von dieser trügerischen Vision rechtzeitig zu trennen und sich konkretere Ziel zu setzen.
     
  • Mit den Begriff Wissensgesellschaft ist zu viel Hype und Oberflächlichkeit verbunden. Der Begriff wird nicht mit Leben gefüllt. In der digitalen Transformation, die unsere Gesellschaft zur Zeit nachhaltig umformt, sind wir noch ohne Ziel unterwegs. Dies zeigt sich besonders bei Schlagworten wie Industrie 4.0, die von einzelnen Leuchttürmen illuminiert uns suggerieren, wir seien auf dem richtigen Weg,  aber international keinen Trend setzen. Die wirtschaftlichen Grundlagen, um eine Wissensgesellschaft aufbauen und erhalten zu können, sind in unserer derzeitigen ökonomischen Disposition noch nicht gegeben. Wenn Wissen einmal die wirtschaftliche Basis unserer Gesellschaft werden soll, muss einfach mehr getan und in die richtige Richtung investiert werden. Im globalen Wettbewerb um Ressourcen und um Innovationen werden wir keine Chance haben, wenn wir nicht eine Art „Wissensgesellschaft“ anstreben.
     
  • Wissen ist die einzige Ressource, die mehr wird, wenn man sie teilt. Von einem aktiven Teilen des Wissens zum Nutze aller gesellschaftlicher Gruppen sind wir noch weit entfernt. Wissensgesellschaft bedarf einer Wissenskultur, die anerkannte, gemeinsame Basis für das soziale, wirtschaftliche, politische, kulturelle und ökonomische Miteinander ist. Die Wissenskultur kann sich nur etablieren, wenn sie von der Leitfiguren in Politik und Gesellschaft gewollt ist und vorgelebt wird, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden, wenn gesellschaftliches Klima, technische Grundlagen und ökonomische Stabilität dies fördern. Eine solche Grundstimmung ist in Deutschland, das sich eher dem Informationskonsum denn der aktiven Gestaltung von Wissen, der Innovation, hingibt, nicht zu fühlen. Auf dem derzeitigen Entwicklungspfad werden wir keine Wissensgesellschaft werden."

 

Nun sind es nur noch wenige Wochen bis zum Live-Schlagabtausch. Man darf gespannt sein. Und vielleicht gibt es außer einer Zusammenfassung und dem Video auch eine Mitschrift – gern auch in gedruckter Form.

 

 

Dr. Ulrich Kampffmeyer

Curriculum auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Kampffmeyer

2 Kommentare zu “DOKlive: „Wissensgesellschaft – Deutschland im Abseits oder ist Deutschland ein Leader?“

  • Sigmar Gabriel: Deutschland als digitales Wachstumsland Nr. 1 ?!
    11. September 2015 um 8:38
    Permalink

    Die digitale Transformation ist nach Ansicht von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel eine der zentralen Gestaltungsaufgaben der kommenden Jahre. „Wir wollen Deutschland als digitales Wachstumsland Nr. 1 in Europa etablieren“, schreibt Gabriel in einem Grußwort für die erstmals veranstaltete d!conomy-Konferenz am 2. und 3. November in Düsseldorf. Deutschland solle „eine Führungsrolle bei einer konsequenten, aber auch vertrauenswürdigen und sicheren Digitalisierung von Wirtschaften, Leben und Arbeiten einnehmen“. Die Digitalisierung werde „die DNA unserer Wirtschaft“ verändern.

    Quelle: http://www.cebit.de/de/presseservice/pressemitteilungen/pressemitteilungen-deutsche-messe/?id=740161

    Antwort
  • Wissensgesellschaft - die richtige Diskussion?
    28. September 2015 um 20:04
    Permalink

    Noch ist Deutschland ein Leader, aber wie lange noch? Im Abseits stehen wir sicher nicht, und die Politik versucht ja durchaus mit millionenschweren Forschungsprogrammen rund um das Thema Digitalisierung die richtigen Weichen zu stellen. Und auch die deutschen Technologieunternehmen suchen ihre Wachstumsfelder in der Digitalen Transformation.

    Doch wenn man einen Blick in die Schulen und Hochschulen wirft, stellt sich die Frage, ob wir dort die richtigen Ziele verfolgen. Im Zuge der Umsetzung der Europäischen Studienreform (Bologna-Prozess) hat man einfach mal das erfolgreiche System der deutschen Diplomstudiengänge (für das uns die Welt bewundert hat) über Bord geworfen und ein System mit schmalen, wissensüberhäuften Bachelorstudiengängen eingeführt, die nicht einmal deutschlandweit Anerkennung finden. Dazu kommen dann allerhand mehr oder weniger betriebswirtschaftliche Master-Studiengänge, die kaum durch fundiertes Wissen, dafür aber mit illustren Bezeichnungen überzeugen. Das Ergebnis ist, dass der deutsche Vollblutingenieur und -informatiker schon fast verschwunden ist und mühevoll durch osteuropäische oder asiatische Kollegen ersetzt werden muss.

    Gleichzeitig folgen wir einem Akademisierungswahn, indem wir verzweifelt versuchen, von der OECD vorgelegte Akademiker-Benchmarks aus Asien oder Osteuropa zu erfüllen. Dabei setzen wir den akademischen Abschluss mit hohem Wissen gleich und beerdigen so nebenbei die so erfolgreiche duale Berufsausbildung (für die uns übrigens auch die ganze Welt beneidet). Aber unsere Werkerkollegen aus den osteuropäischen Nachbarländern werden es uns zu danken wissen.

    Dass unser stark zerklüftetes Schulsystem an Ineffizienz kaum zu überbieten ist, wird angesichts der sich immer mehr verstärkenden Migration Tag für Tag immer deutlicher unter Beweis gestellt werden. Die Pädagogen an der Front können einem dabei wirklich manchmal leid tun. Auch hier sind die Weichen falsch oder besser gar nicht gestellt.

    Dies sind einige wichtige Handlungsfelder, in denen aus meiner Sicht die falschen Weichen beim Ausbau der Wissensgesellschaft gestellt werden. Doch ist die Wissensgesellschaft wirklich das, was uns im Wettbewerb nach vorne bringt? Ich meine Nein. Und ich meine, dass wir womöglich die falsche Diskussion führen. Was tun wir denn mit all dem Wissen, welches frei zugänglich ist und zu dem (richtigerweise) immer mehr Menschen Zugang haben? Lasst uns doch das Ziel ein bisschen anders definieren. Ich meine, wir brauchen ein Deutschland, welches seinen Weg in die Wissensgesellschaft geht, nicht notwendigerweise aber als Wissens-Leader – wohl aber als Bildungs-Leader! Und in punkto Bildung hat Deutschland vielleicht die älteste Tradition und die besten Fundamente. Und darauf lässt sich aufbauen. Lasst uns also den Bildungs-Leader Deutschland bauen mit Menschen, die nicht sinn-entleert Unmengen von Wissen anhäufen, sondern die wissen, warum sie dies tun und wie sie es sinnvoll einsetzen und teilen können. Sprechen Sie einfach mit den Schülern und Studierenden von heute, die es nicht selten Leid sind, nur Wissen anzuhäufen, von dem sie nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Sie suchen nach einem Sinn – und das ist gut so, wenn wir in der Bildungsgesellschaft ein weltweiter Leader sein wollen. Denn Bildung ist die Ackerkrume, in der wir das Wissen säen und es zur Reife bringen.

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