Auf dem Weg zum intelligenten Informationsmanagement

1. März 2018 16:56 Uhr  |  PC_Doku  |  Permalink


Das Thema Information bewegt viele Anbieter, Anwender, Journalisten und Analysten. In einer Branche, die sich im Umbruch befindet, fehlt häufig die Orientierung, wie es weitergeht. So auch bei den Themen rund um ECM, EIM, IIM, Workplace und Content Services. In einem Interview mit der The Quality Group ist Dr. Ulrich Kampffmeyer auf all diese Fragen eingegangen und zeigt den Weg auf, wie man von DMS über ECM und EIM zum Information Management gelangt.

Interview „EIM – Der Weg zum intelligenten Informationsmanagement“ mit Dr. Ulrich Kampffmeyer, Geschäftsführer der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung, Hamburg, am 13.10.2017 im BCH. DiALOG – Das Magazin für EIM, Ausgabe März 2018, Seite 8 – 17, issuu.com http://bit.ly/Dialog-3-2018, Herausgeber TQG The Quality Group; Interviewer Steffen Schaar, Geschäftsführung der TQG.
Zur Issuu-Ausgabe: http://bit.ly/Dialog-3-2018
Zur PDF-Ausgabe; http://bit.ly/DialogKff 

EIM – Der Weg zum intelligenten Informationsmanagement

Während sich die selbsternannte Branche ECM über Sinn und Unsinn neuer Akronyme, wie EIM – Enterprise Information Management, sortiert  und positioniert, ist der seit vielen Jahren geschätzte Experte im Sinne von Informationsmanagement, im Umgang mit Daten, Wissen und Informationen schon zwei Schritte voraus. Ja, Herr Dr. Ulrich Kampffmeyer kann als „Urvater“ der klaren Positionierung des Begriffes „Enterprise Information Management“ deklariert werden. Vielleicht vor 20  Jahren ein wenig zu weit voraus, die IT noch nicht auf der Höhe seiner IT-Zukunftsvisionen, aber dafür immer mit pragmatischem Sachverstand, kritischem Hinterfragen und vor allem als Trendsetter nie müde werdend, wenn es darum geht  Definitionen, Lücken oder Risiken standhaft anzusprechen. Ein Mann, der bei neuen Themen vorangeht, mit Mut zur Klarheit und wachem Geist. Heute steht er uns in einem Interview mit hoffentlich großem Weitwinkel für die „digitale Transformation“ und EIM Rede und Antwort.

Steffen Schaar: Die Rubrik „EIM-Kompass“ ist mit Beginn der ersten Ausgabe dieses Magazins fester Bestandteil. Kompass steht für Orientierung, Wegweiser, Hilfestellung. Seien Sie heute unser „Kompass“ – geben Sie uns Einblicke in Ihre Motivation über Jahre hinweg das Digitalisierungszeitalter mitgestaltet zu haben und hoffentlich auch weiter mitzugestalten. Nun schon mehr als ein Viertel Jahrhundert sind Sie Experte, Berater, Meinungsbilder, Trendsetter. Dürfen wir Sie näher kennenlernen, indem Sie uns folgenden Satz erklären, der ja nun gar nichts mit IT zu tun hat: „Die Keramik der Siedlung Hüde 1 am Dümmer….?“

Dr. Ulrich Kampffmeyer: (lacht) Ja, dies ist der Titel meiner Dissertation im Bereich der Ur- und Frühgeschichte aus den 80er Jahren. Auch diese Arbeit war für mich schon ein Schritt auf dem Weg ins Informationsmanagement, denn schon Ende der 70er Jahre habe ich die damalige EDV für die Archäologie zu nutzen und schätzen gelernt. Mein Weg führte mich aber in den 80er Jahren auch weg von der Prähistorik in die Informationswissenschaft. Von Stationen beim Fraunhofer Institut IIT, verschiedene Anbieter von Dokumentenmanagementlösungen bis hin zur Gründung meines eigenen Beratungsunternehmens waren die letzten 35 Jahre durch das das Thema Informationsmanagement und digitale Transformation bestimmt.

Steffen Schaar: Sie haben damals quasi die „Bildverarbeitung“ in der Archäologie etabliert, haben schon 1985 die Archäologen mit einem Datenbanksystem unterstützt, sind Mitgründer des VOI – Verband für Organisations- und Informationssysteme, organisieren Kongresse, sind Moderator, Seminarleiter und feierten neulich Ihr 25-jähriges Firmenjubiläum. Herzlichen Glückwunsch auch von uns. Sind 25 Jahre Leidenschaft für und mit der IT auch 25 Jahre Transformation in Ihrem Leben?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Mein Wunsch war ursprünglich Archäologe zu werden. Ich habe mit sieben Jahren zum Geburtstag ein Buch über Heinrich Schliemann geschenkt bekommen…der geradezu klassische Einstieg. Archäologie habe ich unter anderem studiert und auch zahlreiche Ausgrabungen durchgeführt. Diese Leidenschaft habe ich sehr früh in den 70ern mit naturwissenschaftlichen Methoden und elektronischer Datenverarbeitung kombiniert. Auch wenn ich mich später  ganz in die Informationstechnik absetzte, habe ich alle archäologischen Arbeiten zuvor abgeschlossen und publiziert. Es war eine relativ einfache Entscheidung aus der Archäologie zunächst in die Fraunhofer Gesellschaft für Informations- und Datenverarbeitung zu wechseln. Danach war ich bei verschiedenen Unternehmen wie z. B. Nixdorf verantwortlich für erste Dokumenten-Management-Projekte, habe bei amerikanischen Beratungsunternehmen ein bisschen das Handwerkszeug gelernt und habe dann bei der ACS das Produkt „Hyparchiv“ gemacht, das heute noch am Markt ist. Sie sprachen den VOI an: wir haben damals Ende der 80er gemerkt, dass man sich engagieren muss, um Visibilität für ein Thema zu erzeugen, von der letztlich alle Marktteilnehmer und die Anwender profitieren. Das war einer der Anlässe, warum ich 1991 mit Gleichgesinnten den VOI Verband Optische Informationssysteme ins Leben gerufen habe. Es war mir damals wichtig, Initiativen wie die zur rechtlichen Anerkennung der elektronischen Archivierung erfolgreich zu platzieren, aus der dann Vorgaben wie die GoBS, GDPdU oder die heutige GoBD entstanden sind. Nach sieben Jahren habe ich aber mich aus verschiedenen Gründen aus dem Verband verabschiedet. Als geschäftsführender Vorstandsvorsitzender hatte ich viel Verantwortung und bei 150 Mitgliedsfirmen ist einfach zu viel Zeit, die ich für mein Unternehmen brauchte, in den Verband geflossen. PROJECT CONSULT hat seinen Teil zur Entwicklung des Themas in Deutschland beigetragen. Das können jetzt auch mal andere machen. Zum letzten Teil Ihrer Frage und zum Anlass des Interviews – ich persönlich habe in diesen Jahren eine Transformation vollzogen, von einem naturwissenschaftlich orientierten Archäologen in die Informationswissenschaft, aus der Forschung in die Entwicklung von Software und von dort in die produktunabhängige Unternehmensberatung. Wir helfen den Endanwendern, dass sie auch mit der digitalen Transformation zurechtkommen.

Steffen Schaar: …eine wunderbare Brücke zu den Fragen aus dem „Heute“, denn wie sagt ein Sprichwort „ … um die Zukunft zu gestalten, sollte man die Vergangenheit kennen und die Gegenwart akzeptieren“. Hätten Sie gedacht mal als  Digital Immigrant alt zu werden und die Digitalisierung mitzugestalten?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Ja. Sogar als RDI – Retarded Digital Immigrant.

Steffen Schaar: Okay – klare Antwort! (schmunzelt)

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Sie haben den Begriff Digitalisierung in den Ring geworfen. Seit Beginn der IT betreiben wir doch Digitalisierung, oder? Was sich geändert hat ist, dass wir heute eine bisher nicht gekannte Beschleunigung der Entwicklung haben. Der Begriff Digitalisierung ist in unseren Alltag förmlich eingesickert. Ursprünglich war er für Forschung oder moderne Wirtschaftsunternehmen vorbehalten, heute ist das ein Thema, das alle betrifft. Was aber meint Digitalisierung ursprünglich? Das Lexikon sagt „die Wandlung analoger Information in digitale Information“, also kurz gesprochen, für die Dokumentenmanagementbranche: Scannen. Was wir heute unter Digitalisierung verstehen, ist die  Umstellung der Kommunikation, der Arbeitsweisen, des gesamten Unterstützungsumfeldes des Menschen durch digitale Medien, durch digitale Abläufe, digitale Werkzeuge, Robotik und dergleichen. Seitdem der Mensch existiert, benutzt er die Werkzeuge, den Faustkeil, die Dampfmaschine, das Fließband. Der Mensch wird erst durch seine Werkzeuge zum Menschen. Unterstützende Werkzeuge beginnen nun aber ein Eigenleben zu entwickeln: Roboter, Künstliche Intelligenz, semantische Suche bis hin zu Cyborgs. Wir müssen akzeptieren, dass die Software, mit der wir im Büro oder in der Fabrik arbeiten, eigentlich ein Kollege ist. Dies wird sich durch den Einbau elektronischer Komponenten in den Menschen, als Cyborgs, noch verstärken. Kälber bekommen bei Geburt zwei Chips in die Ohren – Verwechslungen ausgeschlossen! Wir als Menschen noch nicht. Aber in der Ersatzteil- Chirurgie kommen immer mehr „intelligente“ Komponenten zum Einsatz. Dieses Verschmelzen, alles Durchdringen, selbstlernend Agieren – das ist eigentlich die neue Qualität der Digitalisierung.

Kampffmeyer+Schaar Diskussion 1

Steffen Schaar: Eigentlich geht es darum die Technologie der Gegenwart zu nutzen, damit wir in der Gesellschaft und alles was den Menschen begleitet, die Möglichkeiten entdecken, die letztendlich dem Forschergeist des Menschen und dem mit Wissensdrang schon eingeimpft sind. Mein Symbol dafür ist der „Bleistift“: einen Roman schreiben, ein tolles Bild malen, ein Gedicht reimen. Wertschöpfung, Verantwortung übernehmen, sich Gedanken machen. Alles menschliche Eigenarten, sich der Gegenwart zu stellen. Stift, DMS, ECM, Industrie4.0 und was kommt dann?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Ein Stift diente früher dazu selber gestalterisch etwas aufzuzeichnen. Technologie heute macht das gleiche, same same but different. Technologie macht aus Ihrem Stift heute einen Zauberstift. Der leistet nicht nur nahezu Unvorstellbares für Sie, sondern hinterlässt auch noch eine kaum sichtbare Spur. Die Datenspuren von heute führen zum Stichwort „gläserner Mensch“, das vor einigen Jahren die Diskussion bestimmte. Die Spuren, die wir hinterlassen, sind nicht mehr ausradierbar. Das ist die dunkle Seite der Digitalisierung. Wirtschaftliche und politische Interessen stehen im Vordergrund, nicht mehr der Mensch. Interessant fand ich die Aussagen von Shoshana Zuboff schon Anfang der 80er Jahre mit ihren drei Gesetzen: alles was in elektronische Information gewandelt werden kann, wird in elektronische Information gewandelt; alles was automatisiert werden kann, wird automatisiert; und drittens, alle Anwendungen, die für Überwachung und Beeinflussung oder Kontrolle benutzt werden können, werden für Beeinflussung und Kontrolle eingesetzt werden. Die Gegenwart bestätigt alle drei Thesen. Der Zug, den wir damals in Bewegung gesetzt haben, ist schon seit den 90er Jahren nicht mehr aufzuhalten. Und bei unserem Thema, dem Informationsmanagement in Unternehmen, wird krass unterschätzt, dass wir heute schon zu 100% von der Richtigkeit und der Verfügbarkeit von elektronischen Informationen abhängig sind.

Steffen Schaar: Absolut. Aber dazwischen steht immer noch der Mensch.

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Der Mensch ist zum Teil auch schon außen vor. Wenn Sie an neue Fintech- Konzepte denken, mit virtuellen Banken und Blockchain, da ist kein Mensch mehr in den Arbeitsprozessen.

Steffen Schaar: Bitcoin, Blockchain, künstliche Intelligenz. Vor nicht ganz 30 Jahren sagte kein geringerer als Bill Gates es wird die Zeit kommen, wo die Menschheit nur einen Computer hat….

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Douglas Adams hat da sehr visionär in seinem Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“ geschrieben die ganze Erde wird ein einziger Computer sein. Bill Gates hatte nicht ganz Unrecht, wenn wir an die Vernetzung, an IoT, Interconnected Cloud, Mobile und ähnliches denken. Der Mensch ist eine Symbiose mit Software eingegangen. Unser Selbstverständnis, unser Leben, unsere Arbeit hat sich dadurch verändert. So werden Fragen wichtig wie „Was ist in Zukunft denn überhaupt noch Arbeit?“ Welche Rolle wird noch menschliche Arbeit spielen? Was tun mit all den Menschen ohne Arbeit? Da hängen gesellschaftliche Fragen dran, wie z. B. das bedingungslose Grundeinkommen. Heute reden wir über den Fortschritt der digitalen Transformation. Wir sollten eigentlich schon anfangen zu überlegen, was machen wir, wenn alles digitalisiert ist?

Die Branche rund um das elektronische Dokument
hat sich selbst zerlegt

Steffen Schaar: Welche Rolle spielte denn bei dieser Entwicklung die Branche der Anbieter rund ums Dokument?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Dokumentenmanagement als Disziplin entstand in den 70ern, 80ern, als damalige Hostsysteme nicht in der Lage waren unstrukturierte Informationen wie z. B. Dokumente zu verarbeiten. ECM Enterprise Content Management folgte Ende der 90er Jahre und stellte den Versuch dar, die Entwicklungen des Internets, des Webs, einzufangen. Heute, im Jahr 2018, hat sich diese Branche selbst erledigt.

Steffen Schaar: Was ist denn bei ECM – Enterprise Content Management so falsch gelaufen? Wurde die Branche, die Zielgruppe aus den Augen verloren oder von der Zeit einfach überholt?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Zum Einen haben die ECM-Systemanbieter die Vision, den Zweck von Enterprise Content Management nie richtig verstanden, sondern nur auf ihr Produkt abgehoben. Blickt man auf die Anfänge von ECM, um das Jahr 2000, war der Anspruch viel weiter gefasst. Es geht um Strategien und Methoden des Informationsmanagements. Damals war ich einer der Direktoren der Association for Information and Image Management (AIIM) und in der Arbeitsgruppe, die die Vision von ECM auf den Weg gebracht hat. Damals versuchten wir durch ein Akronym für unser Thema bei den Entscheidern die gleiche Wichtigkeit wie ERP, PLM, HR, CRM, CMS usw. zu positionieren. Die Trends der IT wurden durch solche Akronyme definiert und hier sollte sich unser Thema wiederfinden. Leider hat dies nicht richtig funktioniert, jeder Anbieter marschierte in eine eigene Richtung und die sogenannte ECM-Branche ist in Auflösung begriffen. Ein großes gemeinsames Dach, unter dem sich die Anbieter wiederfinden, und das den Anwendern erlaubt, Lösungen zu identifizieren und zu vergleichen, fehlt heute. Übrigens, in Bezug auf Technologien und Funktionalität war ECM im Ansatz immer Middleware, war immer Infrastruktur, Dienste im Untergrund der Systeme, eigentlich am Arbeitsplatz für den Anwender kaum visibel. Dieser Ansatz wäre auch noch heute valide, jedoch meinen die ehemaligen ECM-Anbieter sich in der Digitalen Transformation anders positionieren zu müssen.

Steffen Schaar: War diese Entwicklung ein notwendiges Übel oder hätte man das vielleicht mitverändern können? Also müssen wir nicht sagen „Asche aufs Haupt“? Das würde uns ja alle auch sympathischer machen, für alle Menschen ringsum. Ist es nicht Zeit sich endgültig davon abzuwenden?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Ach wissen Sie, der Zug ist abgefahren. Einige Themen werden aber weiterhin wichtig bleiben, auch wenn man nicht mehr von ECM spricht. Da ist z. B. die Beherrschung der Information, die Information Governance, die angesichts der Informationsflut und der rechtlichen Anforderungen immer wichtiger wird. Beim Thema ECM Enterprise Content Management kam dieser Aspekt in den letzten Jahren nur unzureichend zur Geltung. Eine Rolle spielte auch, dass sich ECM bei vielen Anbietern nur auf unstrukturierte Inhalte fokussiert hat, nämlich auf klassische Dokumente, Scans, PDF, Word-Dateien, Bilder usw. Was ja auch Ihr Unternehmen, Herr Schaar, und auch der VOI sinnvollerweise erkannt haben: es geht um die Erschließung und Verwaltung aller Informationen, egal in welchem technischen Format. Es geht um den Wert der Information, der vom Format unabhängig ist. Was uns heute hier fehlt und wo wir auch keine Maßstäbe haben, ist diesen Wert der Information zu definieren und zu erkennen. In Bezug auf die zu enge Fassung von ECM, das Ignorieren von Daten und Dokumenten als Bestandteil eines übergeordneten Informationsmanagements, da bin ich der Branche regelrecht böse …

Steffen Schaar: Das wollte ich jetzt mal hören, Herr Kampffmeyer, weil …?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Ja, ich bin da richtig böse, weil die Anbieter das Thema regelrecht versemmelt haben. Es ist nirgendwo mehr auf der Prioritätenliste von Entscheidern. Man redet über Teilbereiche wie Archivierung – aus Entscheidersicht unwichtig, gehört in den Keller –, Content Management – macht der Dienstleister –, Kollaboration – dafür gibt es doch Share Point –, Prozesse – laufen doch in der Fachanwendung oder im ERP  –, elektronische Rechnungen – sind Standard und zudem nebensächlich, da soll sich die IT mal kurz drum kümmern –, und, und, und. Wir haben den Stellenwert der Information nur am Medium, an der Verwaltung, aber nicht am Wert und Nutzen ausgerichtet.

Qualität und Wert von Information
sind entscheidende Faktoren

Steffen Schaar: Jetzt haben sie gerade das digitale Stichwort genannt. In dieser Form der ganzen Akronyme, Systemlösungen, die CRM, ERP, MRS, MES usw. heißen. Das wollen die Anwender nicht, die wollen einen Nutzen davon haben. Einfacher, interessanter, effizienter, schneller, agiler. Wissen heißt das Zauberwort. Wissen ist im Handlungskontext versehene Daten. Und aus Wissen kann man gute Entscheidungen ableiten, aber nur aus Wissen, nicht in dem man sagt, Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts. Daten sind Müll, Daten sind Sand. Wissen ist das Gold, nämlich im Handlungskontext von Gesellschaften, von Unternehmen, von Organisationen, von Menschen, die miteinander arbeiten und leben. Tut das nicht in Ihrer Beraterseele weh, wenn ich Sie einfach frage, seit 20 Jahren gießen Sie Wasser auf die Mühlen, wieviel Kraft haben Sie denn noch?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Gegenfrage – wussten Sie eigentlich dass 75 % aller elektronischen Informationen in Unternehmen ROT sind: Redundant, Outdated, Trivial! Das entscheidende Thema ist Informationserschließung und Informationsnutzung. Nicht die technische Lösung ist der Schlüssel, sondern der bewusste Umgang mit Informationen im Unternehmen. Welchen Stellenwert haben Informationen z. B. in kaufmännischen Anwendungen. Ob ein Archiv, SharePoint oder Cloud dabei die technische Lösung ist, ist unwichtig. Wie gehe ich mit Information um, wie schütze ich sie, wie erhalte ich die Qualität und Nutzbarkeit. Die Anbieter und ihre Verbände wie z.B. BITKOM, VOI & Co., beschäftigen sich von den Herstellern getrieben stattdessen weiterhin mit Technologie, Funktionalität und Systemen – die eigentlich wichtigen Themen bleiben so auf der Strecke. Wir haben so die Anwender allein gelassen, unterwegs verloren. Wir überlassen sie zum Teil Scharlatanen, die mit Technologieversprechen als Heilsbringer auftreten wo doch organisatorische Lösungen gefordert sind. Dies betrifft auch die Innovation im Umgang mit Information. Innovationen kommen von außerhalb der traditionellen Branche. Die Branche nimmt sich mal hier und da Innovationen von nebenan, baut die bei sich ein, aber eigenständige Innovationen sind seit einigen Jahren nicht mehr da. Dies hat auch einen positiven Aspekt den man nicht verheimlichen sollte – die Lösungen sind matur, laufen stabil und tun was sie tun sollen. Ob Letzteres aber in der Digitalen Transformation noch ausreichend ist, ist mehr als fraglich. Die Krise der Branche rührt auch daher, dass sie von neuen Themen links und rechts überholt wurde.

Steffen Schaar: Sie fokussieren sich ganz klar auf den Nutzen und da sind wir wieder Seelenverwandte. Das bringt mich gleich zur nächsten Frage: Sie haben 2014 für viele überraschend – übrigens nicht für mich – auf der DMS Expo in  Stuttgart das erste Mal diesen Satz geprägt: „Der CIO ist nicht der IT Leiter“. Jüngst war in der ComputerWoche zu lesen, der CIO habe sich abgeschafft. Und dann hat man das I ausgetauscht durch ein D. Und dazu möchte ich Ihre Meinung wissen. Ist der Chief Information Officer der Information Officer und nicht der IT Leiter? Stehen Sie heute noch dazu oder was sagen Sie zu dem Buchstaben D dazwischen?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Lieber Herr Schaar, eher andersherum – leider sind viele sogenannte CIOs in Deutschland nur IT-Leiter, die sich um die IT kümmern, und nicht ums Informationsmanagement. Seit fünf Jahren gestalte ich den Strategiegipfel IT & Information Management mit, der gezielt Chief Information Officer anspricht. Dort haben wir schon zu Beginn die Teilnehmer mit dieser Frage konfrontiert, da viele aus dem technischen Umfeld kommen und jetzt einfach, weil modern, einen „C“-Titel erhalten haben. Vom Arbeitsumfeld sind sie ITler, aber weniger Architekten, Strategen oder Visionäre. Beim Begriff Architektur denken diese Leiter dann auch eher an eine Systemarchitektur denn an eine  Informationsarchitektur …

Steffen Schaar: …nicht Organisationsarchitektur, nicht Unternehmensarchitektur…

Dr. Ulrich Kampffmeyer: …aus geschäftlicher oder strategischer Sicht, sondern sie sind eigentlich damit beschäftigt, die vorhandene IT am Laufen zu halten. Dies betrifft auch das Verhältnis zum sogenannten „Business“ – die IT als Dienstleister oder die IT als strategischer Partner des Business. Die Kluft zwischen Fachabteilungen und IT ist immer noch da. Den sogenannten Chief Information Officers ist es nicht gelungen aus der IT-Ecke in die Informationsecke zu  gelangen. Deshalb musste ja auch die neue Rolle des Chief Digitalen Officers erfunden werden, oder?! Der Chief Digital Officer hat die Aufgabe aus fachlicher Sicht den Digitalisierungsprozess voran zu treiben. Aber auch dort hakt es. Erstens kann man das I nicht einfach durch ein D ersetzen oder das I in Technik und Digitalisierung auftrennen. Als Berater, und als ein solcher sollte sich der CIO oder CDO auch verstehen, muss immer seinen Kunden, dem Business, ein paar  Schritte voraus sein. Dennoch darf er nicht die Bodenhaftung verlieren. Immer neue Begriffe und Trends treiben die Unternehmen voran – aber auch in den Wahnsinn. Nehmen wir den deutschen Begriff Industrie 4.0. Ein Hype-Thema, wo man versucht hat, den Marketingerfolg von 2.0 auf Industrie 4.0 zu übertragen. Inhaltliche Leere. Andernortes nennt man dies mit dem Anglizismus Smart Industry. Diese leere begriffliche Hülle wird jedes Jahr mit anderen Inhalten neu befüllt. In der Unternehmensrealität muss sie aber konkret umgesetzt werden. So soll der CDO beispielsweise den Workplace 4.0, den Arbeitsplatz der Zukunft, einführen, Industrie 4.0 im Unternehmen und in neuen Produkten und Dienstleistungen des Unternehmens umsetzen, die digitale Transformation des Unternehmens auf den Weg bringen. Traditionelle Organisationen sind schier überfordert. Hierarchische Strukturen und Entscheidungen stehen den notwendigen übergreifenden Prozessen und den übergreifenden Informationen im Wege. Man hofft auf die automatische Erschließung aller Informationen als Wissen des Unternehmens. Alles soll verfügbar sein aber andererseits soll Vertraulichkeit und Datenschutz gewahrt bleiben. Das funktioniert nicht von heute auf morgen! Digitalisierung hat in erster Linie etwas mit Organisation, Prozessen und Menschen zu tun und nicht mit dem willkürlichen Einsatz von vermeintlich moderner Technologien.

Es gibt keine digitale Kultur in den Unternehmen,
weil die digitale Welt noch nicht so richtig angekommen ist.

Steffen Schaar: Sprechen wir zu viel Fachchinesisch? Fragen sie mal jemand, was Industrie 4.0 heißt – 60% wissen das nicht. Müssen wir umdenken, mehr digitale Strategie statt digitales Stückwerk?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Strategie steht als Notwendigkeit ganz am Anfang. Dies muss den Anwendern vermittelt werden, ohne Akronymologie. Bei PROJECT CONSULT sprechen wir seit 1997 von Informationsmanagement als Überbegriff, denn Information Management beinhaltet Kommunikation wie den Austausch und die Nutzung und Erschließung von Information. Informationsmanagement ist durch menschliche Interaktion und Kultur geprägt. Der Mensch ist hier der Maßstab und menschliches Verhalten bestimmt die Lösungsansätze. Bekannt ist hier z. B. das Sender-Empfänger-Problem. Mit Worten und den dahinter liegenden Begriffen und Konzepten versuche ich etwas zu vermitteln. Der Empfänger, der Zuhörer, versteht davon nur einen Teil – oder auch gar nichts – wenn er die Begriffe und Konzepte nicht kennt. Stille Post und Unverständnis sind die Konsequenzen. Kommunikation und Informationsmanagement sind so gesehen auch  Verständnis- und Kulturfragen. Dies ist übrigens auch ein inhärentes Problem unserer Akronyme und Fachbegriffe, gilt aber generell innerhalb jeder Organisation und menschlichen Interaktion. Die Unternehmenskultur wird bei der Digitalen Transformation häufig unterschätzt oder gar nicht berücksichtigt. Es gibt noch keine digitale Kultur in den Unternehmen, weil die digitale Welt noch nicht so richtig angekommen ist. Dies hatten wir bereits beim Wert der Information angesprochen – welchen Stellenwert hat die Information im Unternehmen, was macht das Unternehmen mit Informationen, was ist der Wert von Informationen in Bezug auf die Werte des Unternehmens. Banale Dinge wie „Wie sollen Mitarbeiter vernünftig mit den Informationen umgehen?“ Hier ist kein Bewußtsein für die grundsätzlichen Probleme in Sicht, es wird sogar schlimmer…

Steffen Schaar: … weil sich auch Unternehmen und ihre Wertschöpfung rasant verändert haben. Branchen fallen weg, Technologiewechsel und Agilität sind „HighPerformer“ und die Globalisierung schreit nach Digitalisierung, oder?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: noch ein paar Schlagworte. Die Veränderungen sind Folgen von gewissen gesellschaftlichen Gegebenheiten und von wirtschaftlichen Modellen. Beides, Gesellschaft und Wirtschaft, ändern sich rasant. So wird der gesellschaftliche Konsens durch Globalisierung bedroht, durch nicht reflektierende Konsumenten, durch eine reine Nehmer-Ich-Mentalität. Man sieht dies besonders auch beim Thema Internet. Das Internet ist ein Grundbedürfnis wie Strom aus der Steckdose, muss immer und überall erreichbar sein, und alles im Internet hat kostenlos zu sein. Unserem Gesellschaftssystem fehlen aktuell die Maßstäbe wie mit Globalisierung und grenzenloser Informationsverfügbarkeit umzugehen ist. Dazu kommen berechtigte und unberechtigte Ängste. Angesichts Robotik, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz ist die Angst um den Arbeitsplatz, um bezahlte Arbeit, um die Existenz, sehr real. Hinzu kommt, dass die Grenzen des Wachstums ebenso wie die Unterschiede zwischen superreich und arm sichtbar werden. Digitalisierung spielt hier eine besondere Rolle, da sie einerseits eine Verheißung zum Besseren ist, andererseits aber Intransparenz, Manipulation und Abhängigkeit vorantreibt. Digitalisierung und Information sind dabei für Unternehmen der entscheidende Wettbewerbsfaktor für die Zukunft. Dem hat sich der Mensch unterzuordnen – meinen viele. Vor 20 Jahren musste man mit Unternehmensleitern noch argumentieren, dass Information die fünfte Säule des Unternehmens ist. Heute ist das selbstverständlich und die Information wird für die Unternehmen wichtiger als das traditionelle Produkt. Nur die Rolle der Mitarbeiter und auch der Konsumenten kommt hierbei zunehmend unter die Räder.

Kampffmeyer+Schaar Diskussion 3

Steffen Schaar: Einer Ihrer letzten Vorträge lautete „ECM was kommt danach…“. Warum drehen Sie es nicht rum, nehmen Ihre geballte Erfahrung, packen Ihre Emotionen und Leidenschaft dazu und sprechen den Menschen mal frei aus dem Herzen, ohne die DMS- oder ECM-Branche zu hofieren?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: (lacht) Wow – die ECM-Branche hofieren. Im Übrigen haben wir schon vorhin festgestellt, dass es die DMS/ECMBranche per se nicht mehr gibt. Ich glaube, wenn ich so die Anbieter höre, dann bin ich derjenige, der immer als pessimistischer Mahner auftritt, der immer in den Wunden stochert. Lobbyismus für die Anbieter, Hersteller und Verbände dieser – nicht mehr vorhandenen? – Branche, nein, das ist nicht mein Thema. Jedoch bin ich Teil dieser Branche, oder sagen wir heute, Szene, und wenn es der Branche gut geht, gibt es viele Projekte und viel Beratungsbedarf. Es geht darum gemeinsam Entscheidern und zukünftigen Anwendern die Bedeutung des Themas zu verdeutlichen. Im Interesse aller. Meine Erfahrung stelle ich dabei gern zur Verfügung, wenn Sie meinen, auch leidenschaftlich, emotional engagiert.

Steffen Schaar: Respekt, dass sie das durchgehalten haben.

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Es gibt Anbieter, die unterstützen dieses Engagement, die geben auch dafür Geld aus, dass ich für sie Vorträge halte, Diskussionsrunden moderiere oder Whitepaper verfasse. Letztlich bieten mir Veranstaltungen – wie auch dieses Interview – eine Plattform, mit Vorträgen meine Ideen und Einschätzungen der zukünftigen Entwicklungen weiterzutragen. Dies nützt den Anwendern wie auch den Anbietern. Und letztlich auch meinem Unternehmen als Dienstleister der Anwender.

Steffen Schaar: … und natürlich ist es auch eine persönliche Anerkennung.

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Ja, dies spiegelt auch eine gewisse Anerkennung meiner Rolle wider. Auch wenn man diese selbst nicht immer in dem Maße wahrnehmen kann, wie man möchte, z. B. eine Direktorenschaft bei einem internationalen Dachverband, das Managen eines europäischen Verbandes oder eine außerordentliche Professur. Hier ist die wirtschaftliche Kapazität und Relevanz einer sehr kleinen Unternehmensberatung sehr begrenzt.

Digitalisierung und Information sind für Unternehmen
die entscheidenden Wettbewerbsfaktoren für die Zukunft

Steffen Schaar: Hand aufs Herz, Herr Kampffmeyer, wie lange wird’s noch dauern bis aus digitalem Stückwerk Strategie wird? Können wir das beschleunigen? Können Sie da etwas mit Visionen beitragen? Oder sind wir zu weit weg? Was wird aus den strategischen Ansätzen, den Visionen?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: PROJECT CONSULT gehört nicht zu den großen strategischen Unternehmensberatungen, die auf der C-Ebene ein- und ausgehen, wie die KPMGs, Bergers, E&Ys, BCGs usw. Wir agieren eher im Mittelbau und auf konkrete Projekte bezogen. Unser Einfluss auf Strategien für das Informationsmanagement ist so leider nur sehr eingeschränkt. Vorgegebene Ziele unterstützen weitergehende Visionen nicht immer. Man kann jetzt sagen „wer eine Vision hat  soll zum Arzt gehen“ oder „Unternehmen, die keine Vision haben, wird es nicht mehr lange geben.“ Das heißt, wenn von oben keine digitale Strategie da ist, dann kann unten in den Projekten nie etwas Größeres, Durchgängiges, Integrierendes entstehen. Diese Erfahrung machen Sie sicher auch selbst mit der TQG wenn Sie als Integrator unterwegs sind. Ein Einstiegspunkt für umfassendere Lösungen ist die Kombination von Information Governance und Information Management.  Übergreifend bezeichnen manche dies auch als EIM Enterprise Information Management. Bei rechtlichen Vorgaben kann sich die Unternehmensführung schlecht herausreden. So wird z. B. die elektronische Aufbewahrung und Archivierung immer ein Thema sein, ein Dauerbrenner. Sie gilt als staubiges Thema, gewinnt aber immer wieder an Aktualität, wenn es z. B. durch Migration um die Erhaltung der Nutzbarkeit von Information geht oder um neue technologische Ansätze geht. So bekommt man mit vernünftigen Archivierungskonzepten aus dem vergangenen Jahrtausend sogar eine Blockchain-Lösung hin.

Steffen Schaar: Jetzt haben sie mir zwei schöne Stichworte gegeben, Blockchain und Enterprise Information Management.

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Das musste ja jetzt mal kommen (lacht).

Steffen Schaar: (schmunzelt)… wir haben bis hierhin fast 1,5 Stunden gebraucht.

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Und ich habe schon die ganze Zeit gewartet! EIM, wann kommt es endlich…

Steffen Schaar: Aber sie haben es mit dem Thema Blockchain garniert, wunderbar. Sie haben auch gesagt, das Thema EIM wird nicht fallen gelassen und es wird uns noch lange begleiten. Ich würde beide um das Thema Plattform ergänzen, damit wir aus dem Klein-Klein der IT so richtig rauskommen. EIM, Blockchain, Plattform – wie sehen sie das?

Brücken schlagen:
von DMS über ECM und EIM zum
ganzheitlichen Informationsmanagement

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Für mich war EIM Enterprise Information Management eine Brücke für die Branche, um die Endanwender von Enterprise Content Management zu etwas Sinnvollerem zu bringen, um vom Begriff Content in ECM, der Beschränkung auf unstrukturierte Information wegzukommen – ohne dabei Enterprise Content Management aufzugeben, was weiterhin nützlich, wertvoll und gut ist. Das war mein Versuch, das „C“ durch das umfassendere „I“ zu ersetzen. Meine Auffassung von EIM hat sich im Markt nicht durchgesetzt. Auch wenn Unternehmen wie OpenText oder der VOI von EIM Enterprise Information Management reden, so ist meine Grundidee dabei untergegangen. Mein Grundsatz ist, ECM lebt funktional als Kernbestandteil innerhalb von EIM weiter. Dieser Kern wird ergänzt um weitere Funktionen und um ein Umfeld, Ecosystem wie der Amerikaner sagt. Eigentlich brauchen wir aber den Begriffsbestandteil Enterprise überhaupt nicht. Enterprise kann im Deutschen sehr verschieden interpretiert werden: für das Unternehmen, im Unternehmen, des Unternehmens. Die Übernahme des Begriffsbestandteils Enterprise zum Information Management war nur eine Hilfskonstruktion. Es geht um alle Informationen, ob sie nun im Unternehmen oder auch außerhalb in Portalen, Social Media, der Public Cloud oder sonstwo liegen. Vielleicht sollten wir doch besser nur von Information Management reden. Dennoch, auch EIM Enterprise Information Management wird als Begriff eine Zeitlang weiter leben und Anwendern vielleicht auch einmal inhaltliche Orientierung bieten. Zweiter Teil Ihrer Frage – Blockchain. Blockchain ist eine sehr interessante Technologie mit einem sehr hohen Grad an Sicherheit gegen Verfälschung. Das kommt dem Bedürfnis an Unverfälschbarkeit und Vollständigkeit bei der elektronischen Archivierung entgegen. Man muss jedoch dringend zwischen den Verfahren der Public Blockchain, wie bei Bitcoin und Ether, und solchen Verfahren, die man Inhouse einsetzt, unterscheiden. Die Public Blockchain-Technologie erlaubt kein Löschen innerhalb einer Chain. Wenn ein Unternehmen nach Aufbewahrungsfristen entsorgen will oder gar die Anforderungen des Datenschutzes, die DSGVO gelten in Kürze, das Löschen erfordern, dann ist die Public Blockchain ungeeignet. So gesehen ist Blockchain wieder ein Hype-Thema, das von  Anbietern, Presse und Beratern einfach so in die Debatten geworfen wird. Als Berater muss man hier vielfach die Anwender wieder auf den Boden der Tatsachen holen, denn die Blockchain ist nicht die universelle Lösung für das Records Management oder die Archivierung. Sie hatten mir aber noch einen dritten Begriff zugeworfen…

Steffen Schaar: Plattform

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Plattform, Danke. Plattform war zu erwarten und wird auch in der aktuellen Diskussion reichlich gestresst. In unserem thematischen Umfeld zum Beispiel bei der Diskussion um die Content Services, die von den Analysten Forrester und Gartner aufgebracht wurde. Vollkommen überflüssig, denn bei den Content Services geht es nur um Funktionalität und Technologie. Hier wird von Gartner Content Services mit Plattform kombiniert. Content Services Platforms sind die Anbieter und Lösungen, die wir bisher unter ECM kannten, Infrastruktur und Dienste für Systeme. Gern kombiniert mit anderen technologischen Begriffen wie Cloud mit SaaS, IT-Architektur und anderen modernen Hype- Begriffen, die jedes Unternehmen natürlich sofort haben muss – so die Anbieter und die Analysten. Vieles ist dabei allerdings nur neu verpackt, neue Begriffe, neue Akronyme. Hier wird auch die Digitale Transformation zuschlagen. Was macht der IT-Leiter wenn das Unternehmen in der Cloud ist? Was kommt nach der Cloud – doch vielleicht der Computer -Planet von Douglas Adams? Und es wird ein Leben nach der Cloud geben, vielleicht das Informationsuniversum. Plattform wirkt hier so banal, man steigt von der Plattform in den Zug und lässt sie hinter sich. Genug. Betrachten wir die Information selbst, dann haben wir die Chance, den Begriff Plattform aus dem Hype herauszulösen. Ist die Bereitstellung und  Erschließung von Information selbst eine Plattform, dann bekommt der Begriff einen anderen Stellenwert. Dies soll der Begriff Information Management fassen, meinetwegen auch als Enterprise Information Management.

Steffen Schaar: Wir haben das Thema EIM weiterentwickelt und verknüpfen es mit dem Anspruch einer businessApp platform. Business braucht Digitalisierung. App ist eine moderne Architektur um mobil und agil zu sein. Platform steht für den abteilungsübergreifenden Zugriff auf Werte, Informationen, Daten für Rechts-, Compliance-, Revisionssicherheit. Zusammenarbeit (Prozesse) durch qualitätsbewusste Kommunikation in unternehmensweiten Organisationsabläufen. Ist das eine Weiterentwicklung von EIM … so ein bisschen… (lacht)?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: Business-App-Platform – auch ein schönes Schlagwort, jenseits meiner Ausführungen, wo Information selbst die Plattform für das Handeln ist. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Es ist sinnvoll, was sie machen, wenn sie sich um durchgängige Prozesse und Geschäftsvorfälle im Business kümmern. Die bisherigen Technologien rund um ECM wie z. B. Archivierung, DMS, ECM oder EIM haben immer einen wichtigen Aspekt dieser Prozesse beinhaltet, nämlich die Information Governance, die Kontrolle und Beherrschung der Information. Es gilt neue Silos, Informationsinseln zu verhindern. Und da ist es gerade für einen neuen Plattform- und BusinessApp-Ansatz essentiell, alle Informationen übergreifend in den Griff zu bekommen. Bleibe ich mit Ihren neuen BusinessApps selbst organisatorisch stecken, erreiche ich keine Durchgängigkeit, so führt dies zu neuen Inseln. Und in den Unternehmen finden wir wahrlich keine grüne Wiese in Bezug auf Geschäftsprozesse vor. Und damit kommt man auch automatisch in den Problemkreis wie mit Compliance, Nachvollziehbarkeit und Übersichtlichkeit der Informationen umzugehen ist. Für Ihren Ansatz mit  BusinessApps brauchen wir eine komplett andere Architektur, eine komplett andere Infrastruktur und eine komplett andere Software-Landschaft. Mit bisherigen Lösungen, den großen Monolithen im ERP-Umfeld, adressieren wir die Probleme traditioneller Unternehmen. Auch mit Ihrem neuen Ansatz sind wir in der Gefahr wieder mit kleinen Detaillösungen herumzulaborieren. Besonders dann, wenn im Unternehmen die große Vision für die digitale Zukunft und die Bereitschaft für durchgreifenden Wandel fehlt. Diese grundsätzlichen Probleme haben sich in den letzten Jahren nicht geändert und stellen auch weiterhin die größten Risiken für die traditionellen Unternehmen dar. Eigentlich muss ich hier nur meine alten Vorträge wieder ausgraben vielleicht den einen oder anderen Begriff, das eine oder andere Akronym ersetzen. Wenn Sie, lieber Herr Schaar, von Plattform sprechen, dann muss es auch die eine, durchgängige Plattform nicht nur im Unternehmen selbst sondern auch in der Unternehmenslandschaft mit Kunden, Lieferanten, Geschäftspartnern und anderen sein. Es gilt hier die Chancen der Digitalen Transformation wahrzunehmen.

Digitalisierung hat in erster Linie etwas mit
Organisation, Prozessen und Menschen zu tun
und nicht mit dem willkürlichen Einsatz
von vermeintlich modernen Technologien

Steffen Schaar: Ich schaue mir gern Ihre geposteten Vorträge zu diesen Themen an – auch Ihr letzter wieder mit Ihren Beispielen, wo Sie dann nochmal zeigen wie zwei Menschen sich miteinander austauschen, exzellent. Man muss zum  Schluss nochmal seine eigene persönliche Meinung einbringen und zu seiner Überzeugung stehen. Das waren kurzweilige zwei Stunden. Ich sage herzlichen Dank! Doch bevor wir Sie verabschieden, bitten wir Sie noch um einen Werte- Slogan, den Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben möchten?

Dr. Ulrich Kampffmeyer: „Strategie vor Organisation, Organisation und Mensch vor Technik.“ Da ist nichts von digital mit dabei, denn wir machen gern den Fehler, immer nur in einer Dimension bei der Digitalisierung zu denken. Die analoge Welt lebt weiter. Als Menschen bleiben wir analog denkende, fühlende Wesen. Der komplett „digitalisierte“ Mensch kommt bisher nur in Romanen und Filmen wie den Replikanten von Blade Runner vor.

Steffen Schaar: Herzlichen Dank. Ich freue mich sehr, dass Sie uns Ihren Erfahrungsschatz, im wahrsten Sinne des Wortes, geöffnet haben. Ich bin mir sicher, gemäß Ihrer Ausführungen, dass das Thema EIM in dieser Offenheit weiterhin fester Bestandteil als Zielorientierung kontrovers diskutiert und weiterentwickelt wird. „EIM lebt und EIM wird noch lange leben“ – haben Sie gerade eben in einem Satz gesagt. Wir alle sind gefordert darin Chancen zu erkennen, es immer wieder  zu reflektieren, zu hinterfragen und ggfs. auch mal die Buchstaben auszutauschen.

Kampffmeyer+Schaar Diskussion 2

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