Verantwortung
25. Oktober 2006 10:35 Uhr | PROJECT CONSULT Webmaster | Permalink
Informationsflut, Wert von Information, Informationsexplosion, Wissen, Langzeitarchivierung, Digital Preservation, Informationsübersättigung, Verfügbarkeit von Information, Informationsverlust …
Viele Schlagworte gibt es, die um das Thema elektronische Information und deren langfristiger Bewahrung kursieren. Alle beleuchten verschiedene Aspekte eines immanenten und nicht beherrschbaren Problems. Wir werden der Informationsflut nicht mehr Herr. Zumindest nicht mit herkömmlichen Mitteln. Wir sind Spezialisten im Generieren von Information geworden. Information effizient zu verwalten haben wir noch nicht gelernt. Und diejenigen, die es gelernt haben, die sitzen diskreminiert in den Tiefen ihrer Archive und wünschen sich, möglichst mit dem digitalen Mülle, der da als Informationslawine auf sie zurollt, möglichst nicht belästigt zu werden. Die elektronische Informationsflut hat die Archive noch nicht erreicht. Noch baden die Archivare, Dokumentare, Registrare und Records Manager ihre Zehen in den ersten kleinen Gischtfetzen, die die Flut voran wirft. Aber das Problem ist ja bekannt, wir tun etwas – so die Meinung des aufrechten Archivars. Seit Jahren jagt ein Projekt das andere. Jedes Land, jede Organisation, jedes Archiv, die etwas auf sich halten, verfassen ihre eigenen Regularien, starten ihr eigenes Projekt. Möglichst mit Fördermitteln der EU. Es ist kaum überschaubar, wie oft das Rad in den letzten Jahren neu erfunden wurde. Und immer noch werden immer neue Projekte, neue Standards, neue Richtlinien auf den Weg gebracht.
Dies alles wäre ja kein Problem, wenn wir Zeit hätten, wenn wir Geld hätten. Gerade die Institutionen, die sich über die Langzeitarchivierung und Verfügbarmachung von Information (ja, das sind zwei verschiedene Pferde) Gedanken machen, haben kein Geld, dafür aber große Bestände an Papier und anderen Objekten. Schwer fällt es, sich von den Gegebenheiten physischer Objekte und ihrer Verwaltung zu lösen, schwer fällt es zu akzeptieren, dass auch andere schon ähnliche oder sogar bessere Ideen zur Archivierung hatten, kaum denkbar ist es, die Lösung eines anderen, vielleicht sogar aus dem Ausland zu übernehmen, wir sind ja so besonders, wir brauchen unser eigenes Projekt. Wo Geld- und Ressourcenmangel herrscht dort werden Geld und Ressourcen um so leichter verschwendet, möchte man fast meinen.
Warum bietet denn die Software- und die Hardwareindustrie nicht standardmäßig etwas geeignetes an, der Markt der Archive, Museen und Bibliotheken ist doch groß genug, und auch andere Anwender könnten doch solche Lösungen gebrauchen, Verlage, Industrieunternehmen, usw. Vielleicht sogar der Privatmann für seine Gigabytes an Photos, digitalen Videos, seine MP3 und DVDs (auch hier schlägt die Informationsflut zu!). Die Industrie denkt in anderen Dimensionen. Schon 10 Jahre Aufbewahrungsfrist elektronischer Steuerdaten gelten als lange, kaum übersehbare Zeitspanne. Das Rad der Entwicklung dreht sich noch zu schnell und kein großer Anbieter will sich einen Klotz ans Bein binden: Sicherstellung langfristiger Verfügbarkeit, Ab- und Aufwärtskompatibilität, Konverter für noch so abstruse Formate, verlustfreie Migrationsverfahren, selbstdokumentierende Software, die nur einmal verkauft, Jahrzehnte laufen soll. Nein Archivierung war bisher nur ein Nebenkriegsschauplatz für kleine Anbieter. Erst langsam beginnen die großen Anbieter zu merken, dass die Welt in Zukunft derjenige beherrscht, der die Inhalte, den Content im Griff hat. Es geht nicht mehr um die Anwendungen, die Anwendungsklienten – es geht um die Inhalte selbst.
Nehmen wir die beiden Pole der Situation – auf der einen Seite wenig Geld, verzetteltes Vorgehen, großer Bedarf – auf der anderen Seite eine reiche Industrie, die Milliarden scheffelt, uns Software gibt, mit der wir unkontrolliert unendlich viel Information generieren, duplizieren, versenden, verspammen können.
Wäre es nicht an der Zeit, dass die IT-Industrie sich ihrer Verantwortung bewusst wird?
Ich meine hier nicht die oberflächlichen Werbemaßnahmen, mal ein Treffen mit ein paar Vertretern von Museen, hier mal ein Sponsering eines Projektes – NEIN! Es geht um mehr! Warum nimmt ein großer Anbieter nicht einmal 100, 200 oder 300 Millionen Dollar in die Hand und schafft von Grund auf die ultimative Langzeitarchivlösung, die in jedes Betriebssystem direkt integriert werden kann, die so skalierbar ist, dass sie für die Einzelperson als auch für den Planeten ausreichend ist. Diese Software, ihre Dokumentation, die Ausbildungslehrgänge für die Schüler der Grundschule, in allen Sprachen, überall, lokal und im Netz, dies alles müsste frei sein. Nicht nur Open Source oder Freeware, nein, so wie die Freiheit des Menschen in den Menschrechten verankert ist so frei muss diese Lösung frei sein. Es ist kaum begreiflich, dass dies bei der Konzeption der Informationsfreiheitsgesetze vergessen wurde: Information hat ein „Grundrecht“ erschlossen, genutzt und bewahrt zu werden. Wir als Menschen haben das Grundrecht Information zu kontrollieren und über die Bewahrung zu entscheiden. Wie Essen und Trinken ein Grundbedürfnis des Menschen sind, müsste es eigentlich ein Grundbedürfnis von IT-Systemen sein, Information zu erschließen und zu bewahren. Bis jetzt hatte immer neue Bearbeitungsfunktionalität Vorrang vor der ordnungsmäßigen Speicherung, Bewertung und Erschließung von Information. Dies muss sich ändern.
Warum sollte ein Anbieter ein Interesse haben, diese Verantwortung zu übernehmen, das viele Geld zu investieren?
Es winkt viel Ehre. Die Schulbücher werden einst berichten, dass die Firma „xyz“ die Verantwortung für die Information der Menschheit übernommen hatte. Dass sie dies uneigennützig zum Wohle aller getan hat. Aber auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten gibt es Anreize: wer dies zuerst tut und dies weltweit durchsetzt, hat auch die Nase vorn bei der Umsetzung der Lösungen, der Weiterentwicklung. Geht dies nicht, kann man auch zu anderen Maßnahmen greifen – einmal als Thesen in den Raum gestellt: Software, die Information ohne Kontrolle generiert, gehört verboten. Die Geschäftsführer von Unternehmen, die mit ihrer Software keine Funktionalität für die Verwaltung, Erschließung und Entsorgung der genutzten Information mit ausliefern, gehören ins Gefängnis. Sie und Ihre Software vernichten Arbeitszeit, das Geld der Kunden, sie vernichten Lebensqualität der Anwender, und sie vernichten Information.
Ich glaube, die Zeit ist reif. Es ist Zeit, die Verantwortung für das zu übernehmen, was man unbedacht mit so genannten modernen ITK-Werkzeugen angerichtet hat. Das exponentielle Wachstum elektronischer Information lässt uns keine andere Chance. Wir müssen Ordnung in die Information bringen – nicht an Einzelkriegsschauplätzen, nein, generell. Als Basisinfrastruktur aller Software und Systeme. Nur mit Software lassen sich die durch Software geschaffenen Probleme beheben – der Mensch mit seinem kleinen Gehirn, seiner mäßigen und ermüdenden Auffassungsgabe, mit seiner beschränkten persönlichen Anwesenheitszeit auf diesem Planeten, ist damit bereits überfordert.
Wer übernimmt die Verantwortung für das Gedächtnis der Informationsgesellschaft? Liebe Anbieter, der Ball liegt jetzt in eurem Hof! (Kff)