Jubelbotschaften zu Schriftform & Digitaler Agenda …
7. Juli 2016 15:48 Uhr | Dr. Ulrich Kampffmeyer | Permalink
Das BMI gibt in einer Pressemitteilung bekannt, dass überflüssige Schriftformerfordernisse gestrichen werden sollen. Ist dies schon der große Fortschritt? Öffnet dies die öffentliche Verwaltung für die allfällige Digitalisierung? Und wo steht die "Digitale Agenda" wirklich?
In der Pressemitteilung "Bundesregierung will überflüssige Formerfordernisse streichen" des BMI vom 6.7.2016 wird festgestellt:
<Zitat> Geschäfte elektronisch abwickeln – was in der Privatwirtschaft alltäglich ist, soll auch bei der Verwaltung zur Normalität werden. Händische Unterschriften und die Notwendigkeit, persönlich bei der Behörde vorzusprechen, behindern vielfach eine einfache elektronische Kommunikation mit der Verwaltung und bremsen den Ausbau elektronischer Verwaltungsdienstleistungen.
Die Bundesregierung hat daher über 3.000 Vorschriften, die Schriftform oder ein persönliches Erscheinen anordnen, auf den Prüfstand gestellt. Das Ergebnis hält der vom Bundesinnenministerium vorgelegte und heute vom Bundeskabinett beschlossene "Bericht zur Verzichtbarkeit der Anordnungen der Schriftform und des persönlichen Erscheinens im Verwaltungsrecht des Bundes" fest. Danach kann in 20 Prozent der überprüften Vorschriften auf die Schriftform verzichtet werden. So sollen künftig beispielsweise die Zulassung zur Handwerksmeisterprüfung elektronisch beantragt und Einwendungen gegen Immissionsschutzanlagen elektronisch vorgebracht werden können. </Zitat>
Aber immer noch werden Unterschiede zwischen der Papierform und der elektronischen Form gemacht und die umfassende Revidierung der §§ 126, 127 BGB ist das wahrlich noch nicht. Auch durch den Bericht, der den Hintergrund für den Beschluss bildet ("Bericht der Bundesregierung zur Verzichtbarkeit der Anordnungen der Schriftform und des persönlichen Erscheinens im Verwaltungsrecht des Bundes") geistern weiterhin elektronische Signatur, eID und De-Mail. Es wird immer noch von elektronischen "Dokumenten" und derer Übermittlung gesprochen, auch wenn es keine klare Definition in § 3a VwVfG, § 36a SGB I und § 87a AO gibt. Wieder geht es um das Thema "Zugangseröffnung" – keine "normale" E-Mail sondern De-Mail oder E-Mail mit qualifizierter elektronischer Signatur ist nach Verwaltungsrecht weiterhin angesagt. So heißt es in dem Bericht
<Zitat> Die elektronische Form ist in § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG, § 36a Abs. 2 Satz 2 SGB I bzw. § 87a Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 AO gesetzlich definiert. Ihr genügt (nur) ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) versehen ist. Die Definition der elektronischen Form im Verwaltungsrecht entspricht der im Zivilrecht (§ 126a Abs. 1 BGB). Mit der elektronischen Form können sämtliche Funktionen der Schriftform erfüllt werden. Aufgrund dieser gesetzlichen Definition der „elektronischen Form“ als ein mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenes elektronisches Dokument muss in Normtexten besonders auf eine zutreffende Verwendung des Begriffs „elektronische Form“ geachtet werden. </Zitat>
Also geht es weiter mit dem Verhau nebst Sonderlocken?
Dem entgegen stehen die "Jubelbotschaften" des BITKOM, der die Erfolgsstory der Digitalen Agenda preist: "Digitale Agenda der Bundesregierung nach zwei Jahren zu großen Teilen umgesetzt" und "Von 121 Maßnahmen sind 66 abgeschlossen, 46 in Arbeit"
<Zitat> Die Bundesregierung ist mit der Umsetzung der Digitalen Agenda gut vorangekommen. Von 121 Einzelmaßnahmen sind zwei Jahre nach Verabschiedung des Programms 66 umgesetzt, weitere 46 sind in Arbeit. Nur bei 9 Projekten ist noch nichts passiert. Das ist das Ergebnis einer Analyse des Digitalverbands Bitkom, die heute in Berlin vorgestellt wurde. Vor einem Jahr waren erst 36 Projekte abgeschlossen und 60 in Arbeit. „Die Digitale Agenda der Bundesregierung ist auf gutem Weg. Mehr als 90 Prozent der Einzelmaßnahmen sind fortgeschritten oder bereits abgeschlossen – das ist eine beachtliche Bilanz“, sagte Bitkom-Präsident Thorsten Dirks. „Im vergangenen Jahr sind wir beim Thema intelligente Verkehrsnetze mit der Teststrecke auf der A9 und beim autonomen Fahren mit den Vorarbeiten für notwendige Gesetzesänderungen vorangekommen. Die langwierigen Verhandlungen zur EU-Datenschutzgrundverordnung sind abgeschlossen, die WLAN-Störerhaftung ist abgeschafft und beim Verbraucherschutz in der digitalen Welt sind der Marktwächter und eine Vielzahl von Einzelprojekten an den Start gegangen.“ </Zitat>
Nur was sind dies für Maßnahmen? Leuchtturmprojekte, die nie in die Fläche gehen? Eine verkorkste halbherzige WLAN-Störerhaftungsregelung, einheitliche komfortable Zugänge für den Bürger zur Verwaltung? Warum steht denn Deutschland in den Vergleichsstudien immer so weit hinten wenn dorch die Agenda so erfolgreich ist? Ist es von Vorteil, wenn jedes Bundesland mit einem eigenen E-Government-Gesetz "um die Ecke kommt", wie jüngst Nordrhein-Westfalen und jedes Land ein eigenes Süppchen kocht? Von der Umsetzung aktueller europäischer Vorgaben – außer "Paperwork" – mal ganz zu schweigen. Das Regierungsprogramm "Digitale Verwaltung 2020" lässt einiges zu wünschen übrig.
Die Jubelbotschaften sind mit Vorsicht zu geniessen!
Ulrich Kampffmeyer
Ceterum censeo Carthaginem (QES, De-Mail, TR-ESOR, TR-ResiScan usw.) esse delendam!
Jubelperser
Der Nutzung von QualSigs und De-Mail ist ja keine Erleichterung. Das ist im öffentlichen Recht ja heute schon möglich (VwVfG, AO, SGB). Es ist also heiße Luft. Erleichterung wäre, Abschaffung der Schriftformerfordernis und normal E-Mail. Das aber ist aber nicht geplant.
Faszinierend an dem Bericht ist, dass 80 Seiten damit vollgeballert werden, dass die deutschnationale Sonderlocke, dass Schriftlichkeit auf Papier was anderes sei als elektronisch, brav weiter aufrechterhalten wird. Gegen die EU, gegen die Globalisierung. Die Hassprediger haben sich als Juristen durchgesetzt. In der Schweiz ist die Verfälschung einer E-Mail eine Straftat als Urkundenfälschung. Die deutschen Digitalisierungshasser haben das aber zu einem Kavaliersdelikt herab gewürdigt, als wäre eine E-Mail ähnlich bedeutungslos wie das Fälschen einer Dissertation an bestimmten bayerischen Hochschulen, wo CSU-Politiker sich Dr.-Titel erschleichen und strafrrei ausgehen, weil man dort nur ein Ehrenwort statt einer eidesstattlichen Versicherung braucht (siehe Betrugs-Fall Guttenberg).
Die Bitkom Jubelperser sind echt lustig. Bei der angeblichen Abschaffung der Störerhaftung beim WLAN bleibt das juristische Chaos. Zum einen hatte Zypries mir gesagt, das smn eine vollständige Abschaffung der Störerhaftung gar nicht wolle, zum anderen kann keiner im Internet die IP-Adresse vom WLAN sehen, sondern nur die des DSL-Routers, der aber bei Privaten immer noch nicht befreit wird, weil die Digitalisierungshasser Einkunftsquellen von Juristen höher erachten als Gleichbehandlung aller Provider.
Aber der Bericht über die Schriftformerfordernis zeigt sehr schön, dass es vorerst nichts wird mit einer großflächigen Digitalisierung in Deutschland. Das Chaos, das eIDAS jetzt noch zusätzlich bringt, das BMI und BMWi völlig hilflos schweigen lässt, und all die oben genannten tausenden Gesetze wieder angefasst werden müssen, wird für weiteren Stillstand sorgen.
Im besten Fall.
qeS, Schriftform & sonstige Sonderlocken
Lieber Herr Ksoll,
über die verschiedenen Sonderlocken in Deutschland, die eGovernment und generell die Digitalisierung behindern, haben wir schon oft "philosophiert" – aber was kann konkret getan werden ist die Frage.
Offenbar ist das Beharrungsverhalten von Politik und Verwaltung ebenso stabil wie die Position bestimmter Lobbies, die mit den Sonderlocken ihre Geschäfte machen. Über die Unzulänglichkeiten der Agenda 2020 brauchen wir hier nicht erneut debattieren. Vielmehr stellt sich für mich die Frage, ob wir zumindest durch die aktuellen EU-Richtlinien Bewegungen auch in die deutsche Szene bekommen.
Ja, in globalen Massstäben gedacht, sind auch die EU-Regeln zu kurz gesprungen, und auch, ja, in den EU.Regeln spiegelt sich ebenfalls teilweise national geprägter Lobbyismus wider. Aber soll man nach dem ganz Großen streben, wenn wir mit den EU-Regeln jetzt wenigstens auf dieser Ebene eine Handhabe bekommen haben (wenn sie denn nicht wieder verwässert werden).
Bleibt meine Frage an Sie Herr Ksoll – was konkret tun, um die Situation aufzubrechen und zum Positiven zu wenden?
Dr. Ulrich Kampffmeyer
Ceterum censeo Carthaginem (QES, De-Mail, TR-ESOR, TR-ResiScan usw.) esse delendam!
Konkret?
Der Normenkontrollrat kommt seiner Arbeit nicht nach. Er prüft nicht, ob die ihm vorgelegten Gesetze geeignet waren oder sind, die Bürokratiekosten abzubauen, wie es eine Aufgabe wäre nach §4 Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normenkontrollrates:
https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/nkrg/gesamt.pdf
Sollen wir uns im Bundeskanzleramt über ihn beschweren?
Sollen wir bei der nächsten Bundestagswahl anders wählen?
Sollen wir weiter politisch diskutieren und informieren?
Die Deutschen Juristen kochen da ein sehr eigenwilliges Süppchen, dass sich gegen den Bürger richtet und jeder WiBe ermangelt und somit auch dem Verhältnismäßigkeitsgebot der Verfassung widerspricht. Wie z.B. wieder hier beim beA:
http://www.lto.de/recht/job-karriere/j/bea-anwaltspostfach-anwaltverein-entwurf-verordnung-empfangsbereit-nutzungspflicht-dritte-buerger/
Die Lobbyisten von Bitkom oder auch D21 verstehen die Problematik nicht.
Die paar Abgeordneten, die in den Ausschuss ohne Federführung zum Spielen geschickt wurden, können sich in ihren Fraktionen nicht durchsetzen.
Die Digitalisieung ist ein verdammt dickes Brett. Da werden wir nicht einfach Qucik Wins bekommen. Aber bei Untätigkeit wird Deutschland weiter zurückfallen und die Chance der Digitaliserung weiter verpassen.
Wann versteht die Politik?
Die Bundesregierung setzt sich selbst eine „Digitale Agenda“, der BITKOM gibt eine tolle Schulnote über deren Abarbeitung und die Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen bemerken von den Errungenschaften nichts, rein gar nichts.
Ein Phänomen? Sind die Bürger einfach zu dumm? Das wäre zu einfach. Sind vielleicht doch die in der „Digitalen Agenda“ selbst gestellten Aufgaben zu klein gedacht, gehen sie am Thema „Digitalisierung“ vorbei oder fehlen gar die richtigen Aufgaben? Dreimal ja, das sind die Antworten.
Ein Beispiel: Wenn unter „Innovativer Staat“ festgestellt wird „Das Programm ist zumindest vorgelegt, viele Punkte, wie z.B. Details zur elektronischen Akte, stehen noch aus.“ dann ist hier nichts auf dem Weg und bitte was wäre die Aufgabe einer „Digitale Agenda“, diese sich dieser Staat selbst stellt. Ein Hinweis: Die Möglichkeit zum Download eines Antragsformulares bei der Kfz-Meldestelle ist noch kein „Innovativer Staat“.
Wann versteht die Politik, dass nicht 16 Bundesländer für sich jedes allein, nicht jedes Ministerium im Bund und nicht jede Gemeinde eine eigene Digitalisierung denken oder gar umsetzen können.
Und dann die ganz große Leistung zur Breitbandinfrastruktur: „Zum Ausbau leistungsfähiger Breitbandinfrastruktur hat die Bundesregierung Ankündigungen gemacht … Aber es sind keine Haushaltsmittel für die Umsetzung vorgesehen.“ So irgendwie ist bei der Politik noch nicht angekommen oder gar verstanden, dass wir in Deutschland nicht eine von einem Staatsbetrieb vorgegebene Anforderung an die Kapazität von Datenleitungen brauchen, sondern dass die weltweite alljährliche Vervielfältigung des Datenaufkommens der Maßstab ist. Offensichtlich besteht keine Vorstellung der Politiker darüber, dass schon heute deren eigene Kinder mit ihrer Internetnutzung die klassische „Breitbandtechnologie“ völlig überfordern. Wer erklärt den Vordenkern bitte einmal, welche „Banddünne“ noch bleibt, wenn 50 Familien in einem Wohnviertel Videochats und solche Sachen machen?
Wann versteht die Politik, dass nur die Aufhebung bestehender Monopole in der Infrastruktur und von anderen Staaten vorgelebte Standards, das am 2. Juni 2016 ausgesprochene Ziel des Bundeswirtschaftsministers „2025 soll Deutschland die weltweit beste digitale Infrastruktur haben“ Wirklichkeit werden lassen können.“
Agenden & Versprechen
Lieber Herr Rösch,
zu meinem initialen Wurf haben Sie eine ganze Reihe weiterer, konkreter Punkte hinzugefügt, wo es im Argen liegt. Agenden wurden uns schon mehrfach versprochen, doch bleiben Ergebnisse im Nebel der Worte stecken ohne sich in konkrete, multiplizierfähige Lösungen zu kondensieren. Dabei hapert es im sogenannten E-Government ebenso wie in der Grundausstattung digitaler Services, die häufig der Regelwut der Gesetzesmacher zum Opfer fallen. Ändern muss sich vieles – auf gesetzlicher Ebene ebenso wie beim Investment in digtiale Services für Deutschland insgesamt. Der Föderalismus ist hier hinderlich, denn die digitale Welt kennt keine Grenzen – schon gar keine Stadt-, Kommunal-, Region- oder Bundeslandgrenzen. Bei bestimmten Entwicklungen in der globalen digitalen Transformation ist selbst Europa zu eng. Wir wissen dies, wir schreiben dies.
Dennoch möchte ich die Frage, die sich mir stellt, an Sie weiterdelegieren – was ist konkret zu tun, welche Maßnahmen sollten, können und müssen konkret ergriffen werden? Kritik in den Medien üben wir schon lang genug. Vielleicht wird die Kritik sogar gelesen. Aber was hat dies alles bewirkt? So lange wir im Nebel der Worte steckenbleiben wird es keine reale Veränderung geben.
Dr. Ulrich Kampffmeyer
Ceterum censeo Carthaginem (QES, De-Mail, TR-ESOR, TR-ResiScan usw.) esse delendam!
Bund beschließt Änderung der Schriftform
"Die Bundesregierung hat den von Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière vorgelegten Gesetzentwurf beschlossen, mit dem über 450 Schriftformerfordernisse im Verwaltungsrecht des Bundes abgebaut werden. Der vom Kabinett verabschiedete Gesetzentwurf setzt nunmehr die ersten Ergebnisse aus dem „Bericht der Bundesregierung zur Verzichtbarkeit der Anordnungen der Schriftform und des persönlichen Erscheinens im Verwaltungsrecht des Bundes“ vom 6. Juli 2016 um." schreibt eGovernment-Computing (http://bit.ly/schriftForm) und fragt zugleich – geht die Reform weit genug?
Nein.
Wenn man in den Bericht und die Diskussion hier schaut, ist das alles nur ein Kratzen an der Oberfläche. Effektiv 186 Vorschriften von ca. 3500 sollen geändert werden. Dabei wird auf die Landes-E-Government-Gesetze ebenso wenig Rücksicht genommen wie auf regionale und kommunale Anforderungen. Eine durchgängige Konsistenz, was geändert werden soll, ist auch nicht festzustellen.
Besonders das Thema elektronisches Unterschreiben wirft hier angesichts EIDAS noch viele neue Fragen auf. Wann kann man was wie in elektronischer Form mit wem regeln – in der Privatwirtschaft, zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung, zwischen den Verwaltungen (hier gibt es ja auch laufend neue Regularien wie z.B. zur elektronischen Rechnung), zwischen Bürgern und Verwaltung, Privatpersonen und Unternehmen … eine Vielzahl unterschiedlichster Konstellation mit sehr verschieden Arten von Dokumenten und Transaktionen harren der Digitalisierung.