Interview „Digitalisierung, Speichertechnologien, Blockchain & ECM“ bei Speicherguide.de
30. April 2019 07:57 Uhr | Dr. Ulrich Kampffmeyer | Permalink
Karl Fröhlich, Chef-Redakteur von Speicherguide.de und ECMguide.de, interviewt Dr. Ulrich Kampffmeyer zu den aktuellen Themen der Digitalisierung: „Kampffmeyer zur Digitalisierung in Deutschland: Sehe ich düster“ (http://bit.ly/SpeicherguideKff2019).
Dr. Ulrich Kampffmeyer ist seit 1992 Geschäftsführer der PROJECT CONSULT Unternehmensberatung und Berater für Informationsmanagement. Seit rund 40 Jahren beschäftigt er sich mit den Themen rund um Dokumentenmanagement, Archivierung, Geschäftsprozessen, rechtlicher Anforderungen an die Nutzung von Information und Wissensmanagement. Er gilt als Mentor der Information-Management-Branche in Europa. Er wurde von Fachzeitschriften mehrfach in die Reihe der 100 wichtigsten IT-Macher Deutschlands gewählt und erhielt für seine Arbeit zahlreiche internationale Auszeichnungen. Für ECMguide hat er bereits mehre Interviews zu den Trends im Informationsmanagement gegeben (https://www.ecmguide.de/news/ecm-branche-diskutiert-gern-aneinander-vorbei-5334.aspx; https://www.ecmguide.de/ecm/doc-kampffmeyers-blick-aufs-information-management-20898.aspx, https://www.ecmguide.de/ecm/interview-von-der-wiege-bis-zur-bahre-15-jahre-ecm-21404.aspx). Das Interview für Speicherguide.de wurde live von Karl Fröhlich, Chefredakteur von SpeicherGuide.de im Dezember 2018 geführt und aufgezeichnet.
Karl: Digitalisierung: Die digitale Transformation verfolgt uns nun schon seit einigen Jahren. Uli, wie siehst Du hier den aktuellen Stand in den Unternehmen?
Uli: Ketzerisch gesagt: Digitalis ist eine Pflanze, der Fingerhut. Wunderschön anzusehen, aber giftig. Und aus diesem Blickwinkel sollte man auch auf die Digitalisierung blicken.
Auf Englisch ist es differenzierter: Digitisation, macht unsere ECM-Branche schon seit 30 Jahren, nämlich Scannen. Auch das ist Digitalisierung. Was aber alle meinen ist im englischen Digitalisation. Man sollte aber sinnvollerweise gleich von digital Transformation sprechen, einem kontinuierlichen Veränderungsprozess. Digitalisierung machen wir seit der Erfindung des programmgesteuerten Computers. Was sich geändert hat, ist nur die Geschwindigkeit und Komplexität.
Was wirklich passiert ist eine Transformation aller Informations- und Kommunikationskanäle in digitale Formate. Angefangen vom digitalen Telefonieren bis hin zur Digitalisierung von kompletten Prozessen. Die Qualität liegt eigentlich darin, dass sich keiner mehr dagegen wehren kann. Das »Zeug« ist da und wer nicht mitmacht, wird irgendwann abgehängt.
Und zum zweiten, die immense Beschleunigung.
Das dritte Argument ist oftmals nur Marketing, dass unter diesem Schlagwort hochgehalten wird. Deshalb halte ich es für wichtig, dass die deutsche Industrie und der Mittelstand auf dem Boden bleibt.
Du fragst, „wie weit sind wir?“ Ehrlich, manche Unternehmen glauben immer noch, ohne eine digitale Umstellung, eine Strategie, wie man das Geschäft beschleunigt, auszukommen. Da gibt es eine ganze Reihe von Entwicklungen, beispielsweise elektronische Rechnungen oder Supply-Chain-Management, wo große Kunden Firmen zwingen, sich mit Digitalisierung zu beschäftigen, so dass man aus dieser Ecke gar nicht mehr herauskommt. Für Unternehmen kann dies eine Bedrohung sein, wenn sie nicht rechtzeitig darauf reagieren. Viele verschanzen sich hinter den Worten, Digitalisierung machen wir irgendwann. Eventuell gibt es auch einen Chief Digital Officer, der sich darum kümmern soll, aber so richtig auf dem Schirm, haben das die meisten Unternehmen und Verwaltungen noch nicht.
Ich sehe das eher düster.
Digitalisierung: Das Management ist häufig Teil des Problems und nicht der Lösung.
Karl: Die Hersteller reden da natürlich anders. Sobald irgendetwas Geld kostet im Unternehmen, scheint es schwierig zu werden.
Uli: Das Geld, das notwendige Investment, sehe ich noch gar nicht kritisch, sondern vielmehr die Unfähigkeit im Management, schnell genug und mit Durchsetzungskraft zu reagieren. Das Management ist häufig Teil des Problems und nicht der Lösung. Oft sind die Firmen in alten, eingefahrenen Prozessen gefangen und es fehlt an ausgebildeten Leuten, die es braucht, um diese Veränderungen hervorzubringen. Gleichzeitig muss das Geschäft weitergehen. Man kann nicht alles auf einmal plötzlich umstellen, man muss ja weiterhin sein Geld verdienen. Das heißt, die CIOs und CDO sind alle in einer Box gefangen, man hat nur wenig Zeit, wenig Leute und wenig Geld. Sieht sich aber einer enormen Beschleunigung gegenüber, muss aber das Unternehmen, das eventuell über Jahrzehnte oder Jahrhunderte gewachsen ist, irgendwie am Laufen halten.
Ein Großteil der IT-Budgets geht weg für Wartung, Instandhaltung und Gebühren um den Betrieb aufrecht zu halten. Dann bleiben vielleicht nur noch fünf bis zehn Prozent für Innovationen übrig.
Karl: Wieviel Budget bräuchten die Unternehmen?
Uli: Sagen wir es so, in Startups gehen 100 Prozent in Innovation. Deshalb gehen auch viele den Weg, »kleine Schnellboote zu unterstützen, die den Tanker umkreisen«, sprich größere Unternehmen gründen aus oder neu, um Innovation jenseits der eingefahrenen Bahnen zu ermöglichen. Da können auch mal einige »Schnellboote auf Grund laufen«. Für neue Geschäftsfelder werden einfach neue Firmen gegründet, Labore eingerichtet, Kooperationen mit Startups geschmiedet. Man sieht das bei Großunternehmen wie Siemens oder Daimler, die neue Felder wie künstliche Intelligenz (KI), Automatisierung oder IoT, nach draußen geben und nicht versuchen es mit dem eigenen Unternehmen anzugehen. Lieber wird dies über eine eigenständige Firma gelöst. In Berlin gibt es beispielsweise einen Lab-Pool von VW, der nichts anders macht, als zu schauen, wo gibt es Firmen, die es lohnt zu unterstützen, zu kaufen oder zu gründen.
Viele traditionelle Unternehmen sind in der Grundlagenarbeit noch nicht so weit, wie man sein sollte. Dazu gehören eine saubere IT-Strategie und IT-Architektur, ein standardisiertes Management der Weiterentwicklung der Lösungen, eine durchgängige Infrastruktur, einheitliche Betriebssysteme usw. Es stellt sich hier heute auch immer die Frage, was macht man Inhouse, was in der Cloud. Und wenn Cloud ja, dann in welcher Form eine Cloud.
All diese existenziellen Fragen sind noch gar nicht richtig entschieden und geklärt. Gleichzeitig kommen die Analystenhäuser ständig mit neuen Trends. Da kommen die Unternehmen einfach nicht mehr hinterher.
Karl: Das ist aber nicht neu?
Uli: In dieser Form schon. Auf der Cebit wurde vor 15 bis 20 Jahren, jährlich einmal etwas Neues gezeigt, ein neues Produkt, ein neues Major Release. Die Messe ist unter anderem auch daran zu Grunde gegangen, weil Innovationen mittlerweile ununterbrochen auf den Markt kommen. Man denke nur an die vielen automatischen Software-Updates. Feste Zeitpunkte, wo man konsolidiert und gebündelt etwas vorstellt, gibt es nicht mehr. Wenn einer etwas fertig hat, »schmeißt er es sofort auf den Markt«. Da kann man auch schwer abwägen, geht man sofort mit oder lieber später.
Punkto Geschwindigkeit und Innovation. Ich erinnere an den Hype vor zehn Jahren, als Bitcoin startete. Zwischendurch war ein Riesenhype und nun rutschen die Börsenwerte in den Keller. Es lohnt fast gar nicht mehr Bitcoins zu erzeugen, weil Energie, Strom und Technik zu teuer sind, um noch Bitcoins damit zu generieren. Aber die Geschwindigkeit, wie sich diese Idee ausbreitete, immer neue digitale Währungen auf den Markt kamen, war so ungeheuer, dass die Unternehmen nicht mehr hinterher kamen. Mancher ist dankbar, dass er nicht mitmachte. Es fragen sich Unternehmen auch zu Recht, lohnt es sich mitzumachen, welche Risiken sind damit verbunden, was kostet es mich und wie viele meiner Ressourcen muss ich einsetzen um bei den neuen Sachen immer an der vordersten Linie mitzuspielen. Nicht alles, was als innovativ verkauft wird, bringt die Unternehmen auch wirklich voran.
Information hat nur dann einen inhärenten Wert, wenn sie als Wissen in Prozessen genutzt wird.
Karl: Back to Basics – Digitale Archivierung sollte eigentlich ein wichtiges Thema sein, wird aber eher stiefmütterlich behandelt. Oder?
Uli: Die Archivierung gehört zu den Themen, die uns auf ewig begleiten. Information hat nur dann einen inhärenten Wert, wie ich sie zielgerichtet und zeitgenau an die richtigen Stellen bringe, in den Prozessen als Wissen nutzen kann. Anderenfalls sind die Informationen, die auf uns einstürzen, nutzlos und auch hinderlich. Daher müsste die Archivierung eigentlich eine deutlich größere Bedeutung haben.
Alle Unternehmen ersticken momentan in Information. Es geht darum die wichtige und richtige aus diesem »ROT« (redundant, outdated, trivial) herauszuziehen. Das bedeutet, auch das Wichtige aufzubewahren und das Unwichtige wegzuwerfen. Die Bewertung von Information ist ein kontinuierlicher Prozess, der den Wert der Information erhält.
Es hapert aber schon bei der Begrifflichkeit: Denken wir an das Umfeld Steuern, hier gelten zehn Jahre schon als »Archivierung«. Für Profis in Museen, Bibliotheken, einer Registratur oder in der öffentlichen Verwaltung beginnt Archivierung erst mit Ablauf der Aufbewahrungsfrist und geht bis unendlich. Da klaffen allein schon den Begrifflichkeiten und Lösungen Welten und so richtig langzeitlich ist das Thema auch nicht gelöst. Im kaufmännischen Bereich sollte man daher von »Aufbewahrung« oder wenigstens differenzierter von »revisionssicherer Archivierung« sprechen.
Wem 10 plus das laufende Jahr schon schwierig vorkommen, der solle sich mal mit der »richtigen Archivierung« auseinandersetzen. Wenn man nämlich bedenkt, wie schnell sich Software, Formate und Technologie ändern, wie soll man da sicherstellen, dass Informationen ohne Verlust nach 20, 30, 50, 100 oder noch mehr Jahren noch zur Verfügung stehen? Am Thema Archivierung wird die gesamte Branche noch Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte daran herumknappern.
Für Anbieter von Standard-Software ist langzeitige Archivierung nicht interessant, eher gefährlich. Keiner möchte sich einen »Klotz ans Bein binden«. Mit der Anforderung einer langfristigen Verfügbarhaltung von Daten, legt man sich selber Ristrektionen bei den Innovationen auf. Schnittstellen und Formate kann man dann nicht einfach ersetzen. Das ist der Grund, warum sich zum Beispiel Microsoft, SAP und Google vor dem Thema Langzeitarchivierung gedrückt haben, weil keiner so richtig weiß, was in diesem Umfeld so passiert. Bei diesen Software- und IT-Riesen gilt Archivierung fast als Innovations-Hindernis:
Karl: Aber das ist doch ein langfristiges Geschäft. Was soll daran verkehrt sein?
Uli: Viele mittelständische Anbieter von Archivierungslösungen leben von den Wartungsverträgen. Je mehr ein Kunde mit einer bestimmten Lösung archiviert hat, desto schwieriger ist es für ihn, davon weg zu kommen. Ein fast perfektes Kundenbindungsinstrument. Der Wechsel von einer Lösung zu einer anderen ist meistens nicht ganz einfach.
Eine typische Migration von einem Archivsystem zu einem anderen umfasst nicht nur die Daten und Dokumente, die Informationsobjekte selbst, sondern auch die Metadaten, die Klassifikationsstrukturen, die Indexdatenbank und die ganze Anwendung. Eine Migration kann Jahre dauern und ist unter Umständen teurer, als die Erstinstallation.
So gesehen sind die Mittelständler der Informationsmanagement-Branche in Deutschland ganz gut aufgestellt. Viele dieser Mittelständler werden nur deshalb gekauft, weil sie eine gute Kundenbasis mit entsprechenden Wartungsverträgen und Ausbaupotential bei diesen Kunden haben.
Karl: Digitale Archivierung, wo geht denn dann der Weg hin, in Bezug auf Deine Argumente zu Aufbewahrung und Architektur?
Uli: Wir haben in den letzten Jahren einen ziemlich harten Bruch in den Strategien gehabt. Ich erinnere an ältere speicherguide.de-Schwerpunkte zu optischen Jukeboxen. Das Thema Jukebox ist total tot. Es gibt nur noch ganz wenige, die auf traditionelle Jukeboxen mit digital-optischen Medien setzen.
Dann kamen Bandroboter mit WORM-Tapes. Attraktiv gerade für Großunternehmen mit großen Tape Libraries. Die einmal beschreibbaren Bänder hätten eine Revisionssicherheit bringen sollen. Davon hört man auch nichts mehr.
Ebenfalls entpuppen sich spezielle Archivierungs-Sub-Systeme wie die Centera als Zwischenstadium. Diese setzten bereits auf spezialisierte, abgeschirmte Festplattensysteme.
Heute speichert man Informationen auch zum Archivieren auf Festplatte und schützt die gespeicherte Information vor Veränderung und Löschung mittels Software. Das heißt, man schafft abgesicherte Bereiche, in denen die Information liegt, und spiegelt diese Bereiche an mehrere anderen Orte, um mit einer kontrollierten Redundanz eine ständige Verfügbarkeit sicher zu stellen.
Die Festplatte hat alle anderen Archivierungs-Technologien obsolet gemacht. Wobei dies nicht nur für Opticals und Tapes gilt, sondern auch für spezielle Subsysteme.
Die Frage ist aber heute vielmehr, speichere ich die Daten bei mir Inhouse, On-Premise, oder gehe ich damit in eine, wie auch immer geartete, Cloud-Lösung? Hier existieren inzwischen auch mehrere konkurrierende Ansätze. Wir wissen ja auch, es gibt nicht die eine Cloud.
Karl: Was spricht denn für Cloud-Lösungen?
Uli: Eine ganze Reihe von Argumenten, z.B. Verfügbarkeit, Sicherheit, Komfort in der Nutzung. Die Rechenzentren von Microsoft Azure, Amazon S3, Google, IBM oder HPE sind über die ganze Welt verstreut und bieten 24/7-Betrieb mit mehreren Sicherheitskopien, diversen Sicherheitsfunktionen und schnellen Infrastrukturen. Jederzeit an jedem Ort. Für einen KMU stellt sich so die Frage, ob man selbst überhaupt einen sicheren 24/7-Betrieb sicherstellen kann, mit eigener IT, mit eigener Infrastruktur, mit eigenem Personal.
Beim Thema Cloud spielt sich viel in der Psychologie ab, das ist Kopfsache. Die Ängste folgen dem Motto, wo liegen die Daten, wer kann darauf zugreifen, was passiert, wenn der Cloud-Anbieter nicht mehr da ist. Dies sind strategische Fragen, weil man »legt nicht alle seine Eier in den gleichen Korb«. Zudem verfügen professionelle Cloud-Angebote über einen VPN-Zugang und verschlüsseln alles, so dass der Anbieter teils selbst gar nicht mehr an die gespeicherten Daten drankommt.
Es ist eher die Frage, ob man auch eine öffentliche Cloud setzt oder auf eine private, die mir dediziert mein Rechenzentrum bereitstellt. Hier spielen auch die Unterschiede zwischen SaaS mit fertiger Lösung, PaaS als Plattform für meine angepasste Lösung oder als IaaS als reine technische Plattform für meine Systeme eine wichtige Rolle.
Mit dem Thema Cloud hat sich der Umgang mit dem Thema Archivierung verändert. Schon seit Jahrzehnten gibt es Anbieter, die im Outsourcing elektronische Archive für ihre Kunden betrieben haben. Sie nannten das nur nicht Cloud. Heute wie damals, wer auf die Cloud setzt, muss sich überlegen, wie er mit dem Dokumentationsverfahren umgeht, wie er den Betrieb sicherstellt, wie organisiere ich meine Informationen, wie sieht das Backup aus, und ganz wichtig, wie sehen die Schnittstellen aus.
Schnittstellen sind für die Cloud noch eines der großen Hindernisse. Noch gibt es zu wenige offene Schnittstellen. Jeder Anbieter versucht natürlich, ähnlich den mittelständischen ECM-Anbietern, die Kunden bei sich in seiner Cloud zu halten. Schnittstellen zwischen verschiedenen Cloud-Plattformen sind rar. Hybride Cloud, das Zusammenspiel von Cloud-Lösungen, die Schnittstellen mit lokal installierter Software oder mit der Software aus einer anderen Cloud, sind die eigentlichen Probleme, die wir heute haben.
Karl: Sind wir also noch zu früh? Die Cloud gibt es zwar schon lange, aber so richtig einsatzfähig ist sie auch erst seit kurzem.
Uli: Nein, wir sind nicht zu früh. Eher andersherum. Letztendlich gibt es die Cloud schon länger. Alles, was komplett virtualisiert ist– Leitungen, Software, Speicher, Infrastruktur, Server – ist eigentlich „Cloud“. Früher nannte es sich auch einfach klassisch Outsourcing.
Wenn aber heute ein Rechenzentrum neu geplant und eingerichtet wird, bekommt es sofort eine Cloud-Architektur. Also geht es gar nicht um die Cloud an sich, sondern um die spezielle Form der Ausprägung und Nutzung einer Cloud. Liegen die Daten intern oder extern, wer hat alles Zuigriff, wie ist es um die Erfüllung der rechtlichen Anforderungen, sei es GoBD, GeschGehG oder DSGVO bestellt. Es kommen auch so Fragen hoch, darf man seine kaufmännischen Unterlagen bei einer Firma speichern, die ihre Server in England stehen hat. Da wir noch kein Brexit-Abkommen haben, lautet die Antwort aktuell sogar nein. Der Brexit macht sogar den Leuten in dem »langweiligen« und »staubigen« Gebiet der elektronischen Archivierung zu schaffen.
Wir sind zu 100% von der Richtigkeit und Verfügbarkeit elektronischer Information abhängig.
Karl: So gesehen ist doch elektronische Archivierung ein spannendes Umfeld mit Zukunft.
Uli: Ich beschäftige mich seit 40 Jahren mit Themen rund um Dokumentation, Aufbewahrung und Archivierung. Ich bin sicher, dass die Leute auch noch in 500 Jahren mit elektronischer Archivierung beschäftigt sein werden. In der IT gibt es kein langlebigeres Sujet.
Wir leben in einer komplett von elektronischen Medien abhängigen Welt. Alle Unternehmen, alle Verwaltungen sind zu 100 Prozent von der Richtigkeit und Verfügbarkeit von elektronischen Informationen, Strom und der Verfügbarkeit entsprechender Systeme abhängig. Wird dieser Informationsfluss gestört, haben wir ein Problem, ob durch Stromausfall, Hacker oder weil eine Fabrik keine Chips mehr baut, ist dabei vollkommen egal. Künftige Generationen von Archäologen werden es mit uns so richtig schwer haben.
Karl: Na, mit Archäologie kennst Du Dich ja aus. Briefe auf Papier und Steintafeln überdauern die Zeit besser als elektronische Information.
Uli: Deine Plattform speicherguide.de hat auch schon mehrere Systemwechsel hinter sich. Mir scheint, dass Ihr über die Zeit nicht alle Beiträge mitgenommen habt …
Zukünftige Generationen werden unsere Ära das „Dunkle Zeitalter der frühen Informationsgesellschaft“ nennen.
Karl: Ja, das ist richtig. Wir haben uns zum Teil bewusst dazu entschieden, keine alten Beiträge aufzubereiten. Ehrlichweise sei gesagt, dass sich von uns auch keiner die Mühe machen wollte.
Uli: Bei PROJECT CONSULT haben alle Informationen und Inhalte, die von uns seit 1998 veröffentlicht wurden, vollständig, im richtigen Layout und recherchier fähig weiterhin zur Verfügung. OK, das sind nun mal nicht weltbewegende oder wichtige Informationen. Aber es ist eine Frage wie man selbst zum Thema Persistenz im Internet steht. Wie man mit Information und Wissen über die Zeit umgeht.
Einerseits haben wir eine Informationsschwemme. Naisbitt schrieb hierzu „Wir ertrinken in Information und dürsten nach Wissen“. Auf der anderen Seite ist schon massenweise Information verloren gegangen. Es gibt zwar das Internetarchiv, aber das sind immer nur einzelne Seiten. Das Phänomen des frühen Internet, die ersten großen Plattformen, sind ebenso wie der Wandel zum Web 2.0 als Gesamtereignis heute schon verloren.
Information zu bewahren wird durch die IT nicht einfacher. Es fehlt an Bewußtsein um den Wert der Information. Staaten kümmern sich nicht um die Bewahrung von elektronischer Information, Bibliotheken und Archive sind überfordert, bestenfalls gibt ein paar private Organisationen. Die meisten, die Informationen ins Web stellen, haben für langfristige Verfügbarkeit, für Nachvollziehbarkeit, für Persistenz von URLs, keine Strategie.
Karl: Wie wichtig wird das Thema Blockchain für die elektronische Archivierung?
Uli: Eine Grundanforderung der elektronischen Archivierung ist unveränderbar zu speichern und hierüber einen Nachweis führen zu können. So etwas ermöglicht uns auch die Blockchain. Nur das was wir draußen z.B. bei Digital Currencys als eine mögliche Blockchain-Anwendung sehen, ist nicht die komplette Wahrheit.
Es gibt nicht die eine Blockchain.
Man kann Blockchain-Verfahren auch für ganz andere Anwendungen nutzen, zum Beispiel für Audit-Trails oder die Kombination von verknüpften Blöcken mit einer parallellaufenden Audit-Trail-Blockchain. Quasi Block Chain und Blockchain kombiniert. In einer solchen Blockchain + Blockchain Architektur kann man auch kontrolliert Löschen, das heißt, Dokumente herauslösen ohne die Konsistenz der Audit-Trail-Blockchain zu gefährden.
Karl: Löschen in einer Blockchain?
Den Ansatz der Blockchain als Verfahren ist über 20 Jahre alt. Dabei gibt es unterschiedliche Ansätze von öffentlichen Blockchain mit Distributed Ledger und distributed Proof of Work bis hin zu einfach verketten Blöcken. Dies können auch Informationsobjekte wie Dokumente mit geeignetem Header und Trailer sein. Solche Informationsobjekte kann man z.B. nach der ISO 14721 OAIS (Open Archive Information System) als AIPs (Archive Information Package) bauen.
Inzwischen kommen die ersten kommerziell verfügbaren Lösungen auf den Markt, die sich nicht mit digitalen Währungen beschäftigen. Wenn sich dies richtig entwickelt, könnte Blockchain für Massendaten und hochperformanten Lösungen eine echte Alternative werden zu bisherigen Archiven mit Referenzdatenmodell werden. DSGVO, Löschen von Einträgen, Löschen von abgelaufenen Jahrgängen – bei geeigneter Architektur alles machbar.
2019 wird dies alles sicherlich noch ein Hype-Thema bleiben. Die Zukunft der Blockchain im Records-Management und der Archivierung wird erst später richtig beginnen.
Es gibt nicht die EINE Blockchain. Bei geeigneter Auslegung kann man auch die GDPR erfüllen und in der Block Chain konsistent löschen.
Karl: Gehen wir mal eine Ebene tiefer, zur technischen Infrastruktur für die Blockchain. Uli, welche Speicher empfehlen sich hier?
Uli: Da unterscheiden wir natürlich erstmal zwischen Speicher und Speicherarchitektur.
Als Speicher sehen wir momentan Festplattensysteme im SAN oder WAN, die komplett virtualisiert sind. Von der Architektur her sind dies freiskalierbare, virtuelle Speicher. Das Entscheidende ist, dass der Speicher dynamisch, ohne Ende, mitwachsen kann. Mit großen Datenmengen kann man FAT-Systeme oder auch im IBM-Umfeld große Speicher-Managementsysteme wie Tivoli zum Überlaufen bringen, wenn man nicht nur Daten sondern auch großvolumige Informationsobjekte wie Videos, Multimedia oder Dokumente speichert. Da ist man schnell im Multi-Terabyte-Bereich unterwegs und gilt es zu überlegen, wie man die Performance und den Schutz der Systeme organisiert. Z.B. im Archivbereich Fragen wie, braucht man eine Indexdatenbank, darf man verschlüsseln, vertraut man einer Blockchain oder wird noch ein spezielles Berechtigungssystem benötigt.
Es gilt also durchaus, besondere Architekturen zu entwickeln. Übrigens nicht nur für die Blockchain. Ähnliche Probleme treten mal allen sehr großen Informationsverwaltungssystemen auf. In klassischen ECM-Systemen war dies bisher kein Problem. Man setzte auf Referenz-Daten-Architektur und die in der Infrastruktur vorhandenen Berechtigungssysteme. Über langfristig stabile Rollen war es so auch möglich, für die Archivierung den Zugriff auf bestimmte Bereiche, Klassen oder Dokumente gewähren. Man arbeitete mit Einzelobjekten. In der Blockchain wird aber alles Mögliche hintereinander weggeschrieben, daher muss mit dem Thema Berechtigung anders umgegangen werden. Ein ähnliches Problem mit Berechtigungen und personenbezogenen Daten kennen wir auch schon aus dem E-Mail-Journaling.
Man kann auch nicht einfach sagen, die Blockchain sei nun DIE Lösung für ECM, Archivierung und Audit-Trails. Da braucht es schon noch ein wenig mehr. Blockchain ist eine mögliche Anwendung für bestimmte Archivierungsszenarien. Diese gilt es zu bewerten und zu beschreiben. Hier fehlt es noch an Erfahrungen, da bisher kaum funktionsfähige Anwendung außer den digitalen Währungen im Einsatz sind. Die Algorithmen für Blockchain in Finanzanwendungen wie Bitcoin sind seit zehn Jahren erprobt. Bisher hat es auch kaum einer geschafft, dort einzudringen. Jedoch alles, was nun mit Blockchain und Block Chain Anwendungen on-premise, inhouse, gemacht werden kann oder soll, ist noch ein Experimentierfeld. Die derzeit sinnvollste Anwendung sin die Audit-Trails per Blockchain. Hier kann man auch gut mit Zeitstempeln arbeiten, was die rechtliche Sicherheit der gespeicherten Informationsobjekte erhöhen kann – eine Alternative zum leidigen Einsatz von kartenbasierten qeS-Anwendungen wie dem Scann mit TR Resiscan und TR ESOR. Die Blockchain macht Nachsignieren überflüssig.
Karl: Klingt aber alles komplex. Besteht die Gefahr, dass Firmen aufgeben bevor sie angefangen habe?
Uli: Jein. Viele sehen sich nicht als First-Mover, sondern steigen erst ein, wenn so zusagen der Hauslieferant eine entsprechende Lösung liefert. Da sehe ich unter anderem Oracle, SAP, IBM oder Microsoft mit entsprechenden Angeboten. Erst wenn Hersteller dieser Kategorie eine Blockchain-Architektur integrieren und mitliefern, wird sich etwas bewegen.
Bei unserem Lieblingsthema Archivierung ist das ja auch so: Heute liefern beispielsweise eine Datev oder Lexware auch eine direkt angebundene Archivierung mit. Zusätzliche Archivierungsprodukte werden so überflüssig. Der Markt verändert sich. Und daher gibt es auch in Bezug auf die Blockchain keinen Grund in ein, zwei… fünf Jahren eine Archivierung auf Blockchain-Architektur mitliefern.
Entscheidend ist immer, ob meiner einer neuen Technologie ein Wettbewerbsvorteil verbunden ist. Für die Finanzdienstleistungs-Branche was dies das Argument sehr stark in Blockchain zu investieren. Andere sind noch dabei, ihre Anwendungen zu bewerten.
Karl: Wenn es darum geht schnell und zielgerichtet auf Informationen zuzugreifen, würde doch aber eine einheitliche Architektur helfen?
Uli: Ja, Karl, – aber – dies ist der alte Traum der einheitlichen, universellen Lösung. Da ist schon die Vision von ECM Enterprise Content Management dran gescheitert. Und auch bei Archivlösungen gibt es nur in wenigen Unternehmen das Universalarchiv für alle Zwecke, alle Typen von Informationen, als einheitlichen übergreifenden Speicherort.
Letztendlich versucht jeder Hersteller mit proprietären Mitteln an Wettbewerbsvorteile zu kommen. Ich erinnere um die »Kriege« mit verschiedenen Speicherbetriebssystemen, wo zum Beispiel EMC, Fujitsu, Netapp, IBM und HP jeder jeweils etwas anderes machen mussten. Da wurde noch darum gefochten, wer hat mehr Funktionen, wer ist schneller, wer ist sicherer, wer ist der Erste, der dies oder das kann. Genauso läuft das auch mit allen anderen Software-Produkten. Aber gerade die langzeitige Aufbewahrung bedarf offener Schnittstellen, tragfähiger Architekturen, einheitlicher Standards – letztlich der Produktunabhängigkeit. So ist auch Open Source hier ein Thema.
Wie gesagt, die EINE Lösung für Blockchain, für Archivierung, für ECM wird es nicht geben. Den EINEN RING, der sie alle bindet, wird man vergeblich suchen. Da hilft auch nicht eine internationale Standardisierung oder gar regulative Maßnahmen von Regierungen. Wie schwergängig ein solches Thema ist, zeigen chaotischen Standards bei Signaturen und Rechnungen in Europa. Man wird sich wahrscheinlich auf bestimmte Formate, Standards, Protokolle oder Verfahren einigen. Aber genau, wie uns vernünftige Cloud-Schnittstellen fehlen, fehlt es an einheitlichen Standards, was die Sicherheit von neuen Technologien angeht, sei das nun IoT, Robotics oder Blockchain.
Karl: Lassen wir mal das Thema Archivierung und Blockchain ruhen und sprechen über Trend-Technologien. Was steht 2019 im Mittelpunkt und an welchen IT/Storage-Vorhaben arbeiten Unternehmen vorrangig?
Uli: Also für speichergudie.de den Fokus auf Speicher und Technologie? Sicher zu kurz gesprungen. Aber fangen wir erst einmal an.
Aus reiner Speichertechnologie-Sicht – aktuell Festplatten, zukünftig SSDs. Alles immer schneller, immer kapazitativer, in der Anschaffung immer billiger. TeraByte-Sticks, Multi-Terabyte-SSDs, Multi-Multi-Terabyte Festplatten, Multi-Multi-Multi-Terabyte NAS, Multi-Multi-Multi-Multi-Multi … irgendwo bei dutzenden von Petabyte … jährlich. Alles ein Versuch, hinter dem ungehemmten gigantischen, exponentiellen Speicherbedarfswachstum hinterherzuhecheln. Letztlich ist die Vision, egal wo ich bin und egal was ich mache, es ist immer genug Speicher für mich da. Das wird noch ein paar Jahre gut gehen. In den Unternehmen spielen Virtualisierungs-Strategien die entscheidende Rolle. Einfach ergänzbar, Hardware austauschbar, einfach verwaltbar. Einfachheit ist Trumpf, um die Betriebskostend er Speicherhardware herunter zu drücken, denn die Speichermedien selbst sind vergleichsweise günstig.
Zu unserem vorangegangenen Thema: Blockchain sehe ich gar nicht so sehr als Trend, denn eigentlich ist es eine Technologie für Tekkies. Die richtigen, geschäftsrelevanten Trends sehe ich bei künstlicher Intelligenz (KI), Cloud, Mobile, Sicherheit und Automatisierung. Hier spielen technische wie auch rechtliche wie auch organisatorische wie auch soziale Themen eine Rolle. Da spielt die DSGVO eine Rolle, neue Gesetze zum Schutz von Betriebsgeheimnissen. Die Cloud in unterschiedlichsten Ausformungen und in Kombination mit Mobile. Alles was man mobil macht, kann ohne Cloud nicht Leben. Die Daten der Apps kommen aus der Cloud, wie auch die dazugehörigen Dokumente, die eventuell verarbeitet werden sollen. Ja, auch Dokumente gehören in die Apps, sei es für Lesen oder freigeben. Hier sehen wir gerade die Auflösung des traditionellen Dokuments. Es wird in Daten in einem Layout gewandelt, da es so einfacher zu transportieren und auf einem kleinen Bildschirm unterwegs anzuzeigen ist. TIFF und PDF machen da keinen Spass. Mobile ändert auch unsere Anforderungen an die Nutzungsmodelle. Einfach, selbsterklärend, intuitiv sind die Vorgaben. Unternehmen müssen auf diese Veränderungen reagieren. Dies betrifft nicht nur KI, Robotics, Analytics IOT und was da noch rumkraucht, sondern auch traditionelle Anwendungen neu aufzusetzen, damit sie in den neuen Architekturen und Nutzungsmodellen auch sauber funktionieren und dem Nutzer Freude bereiten. Beim privaten Anwender denkt man immer an Spass und Freude haben, warum mal nicht beim Anwender im Unternehmen.
Aber auch aus dem Bereich des Enterprise Content Management kommen neue Ansätze, die die Informationsnutzung einfacher und komfortabler machen. Die Nutzung von Automatisierungstechnologien bei der Informationserfassung und Erschließung, der Einsatz von einfach zu nutzenden Workflows am Arbeitsplatz, die die manuellen Abläufe nachbilden – unter dem marktschreierischen Titel RPA Robotic Process Automation. Analytics und KI-Methoden bereiten den Weg zu selbstlernenden Systemen auch bei der Verwaltung von Informationsbeständen und im Wissensmanagement. Viele dieser Ansätze sind nicht originär aus der ECM-Branche sondern werden von ihr aus angrenzenden Bereichen adaptiert. Einen eigenständigen Beitrag leisten Systeme, die sich selbst dokumentieren und die Verfahrensdokumentation erleichtern, die alle Formate aller denkbaren elektronischen Rechnungen interpretieren können, ohne dass sich der Anwender selbst darum kümmern muss, die selbst analysieren und bewerten können, welche Information wichtig ist oder die sich selbst konfigurieren und den manuell erstellten Aktenplan endlich auf den Friedhof der verstorbenen Methoden verbannen. Es ist nicht so, dass in der Branche nichts passiert. Aber ob dies beim Entscheider ankommt, ist eine andere Frage.
Karl: Was sind denn dann aus Deiner Sicht die Themen der Entscheider?
Uli: Die Entscheider, Vorstände und Geschäftsführer … da spielen sich die Themen zwischen den Polen Gier und Angst ab. Angst vor der Erfüllung rechtlicher Anforderungen, bzw. Angst vor dem Erwischtwerden, wenn man doch nicht immer alles sauber hat. Gier steht für Wachstum, neue Produkte, neue Märkte, schneller sein, Innovative Ideen ganz schnell an den Markt bringen, neue Technologien sofort einsetzen, um noch schneller an den Kunden heranzukommen.
Bei der Gier ist so ein traditionelles elektronisches Posteingangssystem oder ein Archiv, eher ein Klotz in Bein, der keinen neuen Kunden bringt. Deshalb konzentriert sich die Branche vor allem auf Aspekte wie neue innovative Lösungen, schnellere Umsetzung, größere Flexibilität, Kosten sparen. Wirtschaftlichkeit ist hier ein Grundtenor. Ebenso Time-to-Market und andere Faktoren.
Mit dem Schlagwort Angst kommen wir zu Compliance. Und Angst ist nie so ein gutes Argument wie Wirtschaftlichkeit und mehr verkaufen. Wenn der Gesetzgeber sagt, Du musst eine elektronische Aufbewahrung nach GoBD für Deine kaufmännischen Daten haben, dann macht man der Entscheider das – unter Umständen – , aber nicht unter dem Aspekt, dass man damit Wissen bereitstellen kann. Um hierfür Budgets zu bekommen, muss man quasi die Geschäftsleitung bedrohen, »wenn Du das nicht machst, stehst Du mit einem Bein im Gefängnis«. Es ist immer noch die Mentalität, dass Dokumenten-Management, Posteingang, Archivierung etwas für den Keller seien und nicht strategisch wichtig. Deshalb müssen Anbieter auf die „Gier“-Schiene setzen, nach dem Motto, »machst Du hier bei der elektronischen Informationsbereitstellung nicht mit, bist Du als Unternehmen bald tot« und die »Benefits« wie Wirtschaftlichkeit, Low-Hanging-Fruits müssen in den Vordergrund der Argumentation gestellt werden.
Karl: Aber wird nicht unterschätzt wie wertvoll unter anderem bestehende Informationen für Unternehmen sein können?
Uli: Definitiv! Qualitätvolle Informationen mit Index, Beschreibung und mit einer Metadaten-Datenbank erschlossen, in einem geordneten Dokumenten-Managementsystem bzw. einem revisionssicheren Archiv, haben beispielsweise einen enormen Wert für Big-Data-Analytics. Mit einem langfristigen, stabilen und gesicherten Informationsstand könnten Analytiker erstmal ihre Systeme kalibrieren und justieren. Da machen archivierte Informationen Sinn. So ergeben sich auch aus den „staubigen“ Themen des Informationsmanagements neue Ansätze in den Bereichen KI, Analytics, Wissensmanagement ebenso wie die traditionellen ECM-Lösungen verstärkt die neuen technologischen Ansätze zur Verbesserung der Informationserschließung nutzen. Das geht Hand-in-Hand.
Die grundsätzliche Frage ist, ist mein Unternehmen eine wissensbasierte Organisation, die davon lebt, mit Informationen zu arbeiten. Die auch noch Wert aus Informationen schöpft, die vor Zehn Jahren gültig waren. Wir haben zum Beispiel einen Kunden, der betreibt über 20 Jahre altes elektronisches Archiv und hat vier Migrationen der Verwaltungsinformation hinter sich. Dessen Systeme laufen immer noch und er kann noch auf Dokumente von vor 22 Jahren zugreifen. Aber für einen traditionellen Archivar, der in historischen Dimensionen denkt, ist das noch gar nichts. Je nach Sichtweise hat jeder eine andere Auffassung des Werts der Information.
Das Problem ist aber nicht nur das Speichern, sondern auch die Sicherung der Zugänglichkeit von Informationen. Damit unsere Informationen im Web nicht verloren gehen, stellen wir alle unsere Artikel, alle Vorträge, alle Präsentationen und Newsletter ohne Registrierung, ohne Schranke oder Bezahlung, als Information auf verschiedenen Plattformen zur Verfügung. Nur dann ist es auch von anderen Leuten als Wissen nutzbar.
Anders ist dies aber mit Informationen, die geheim oder unter Verschluss in einem Unternehmen bleiben müssen. Hier setzt man dann auf abgeschottete Systeme, Verschlüsselung bis auf Dokument-Ebene und andere Sicherheitsmechanismen. Dabei wird aber auch gern übersehen, dass Verschlüsselung auch ein Hindernis für die zukünftige Verfügbarkeit sein kann.
Jedoch sollte man immer daran denken: Information ist wirklich die einzige Ressource, die sich vermehrt, wenn sie geteilt wird. Wenn man Informationen teilt, bekommt man Informationen zurück und noch viel schöner, diejenige, die Informationen teilen und damit offen umgehen, erhalten Vertrauen zurück. Für uns im Beratungsumfeld ist dies natürlich extrem wichtig. Und für die Unternehmen wird es auch immer wichtiger, Information zu teilen, da kooperative Ansätze sich zunehmend durchsetzen, traditionelle Unternehmensformen in Auflösung sind. Die „Gier“ lässt sich nur noch durch vermehrte Zusammenarbeit befriedigen. Die Verfügbarkeit von Information ist heute Wachstumsfaktor Nummer Eins.
Karl: Wie heißt es so schön: »Daten sind das neue Gold«. Das forciert die besagte Gier und bringt auch Nachteile mit sich, oder?
Uli: Hier erinnere ich an drei Gesetze von Shoshana Zuboff, aufgestellt zu Beginn der 80er Jahre:
- Alles, was digitalisiert und in Information verwandelt werden kann, wird digitalisiert und in Information verwandelt.
- Alles was automatisiert werden kann, wird automatisiert.
- Jede Technologie, die zum Zwecke der Überwachung und Kontrolle genutzt werden kann, wird, was immer auch ihr ursprünglicher Zweck war, wird zum Zwecke der Überwachung und Kontrolle genutzt.
Wir haben uns in eine Situation hineinbewegt, die nicht mehr von uns gesteuert wird. Das heißt, sie wird nicht von den Eigentümern der Daten gesteuert, sondern von den Plattform-Betreibern, Software-Unternehmen, Adresshändlern, Agenten und Medien allgemein. Wir kommen immer mehr in die Situation, wo durch Leaks Adressen und Passwörter verloren gehen und diese Informationen dann dazu genutzt werden, Profile zu bilden. Daran haben wir uns gewöhnt, in großen Stücken aus Bequemlichkeit. Ohne zu negativ zu werden, aber wir müssen die Ist-Situation akzeptieren und analysieren, um dann noch so viel Positives daraus gewinnen zu, um in der Informationsgesellschaft zurechtkommen.
Diese Fragen sind aber nicht nur für die Welt des World Wide Web wichtig sondern auch intern in der Unternehmen. Automatisierung frisst Arbeitsplätze. Robotik und KI definieren Arbeit neu. Die Rolle des Mitarbeiters wird in Frage gestellt, vom Unternehmen und vom Mitarbeiter selbst. Wenn wir über Trends sprechen dann sollte man die menschlichen und sozialen Auswirkungen nicht beiseite schieben. Eine volltechnisierte Welt ist für das Selbstverständnis und das Selbstgefühl des Menschen – noch – nicht erstrebenswert.
Karl: Vielen Dank für dieses Gespräch!
Quelle Speicherguide.de April 2019: http://bit.ly/SpeicherguideKff2019