Ich ersuche um Verständnis für diese Festlegung
29. Oktober 2020 22:39 Uhr | Dr. Ulrich Kampffmeyer | Permalink
Anbieter von Systemen und unabhängige Unternehmensberater sind zwei Welten. Man erlebt in Projekten schon häufiger, dass der Anbieter ein Interesse hat, den Unternehmensberater des Kunden zu neutralisieren – denn er könnte ja den Anbieter dazu veranlassen das zu liefern, was dieser in seinem Angebot zugesagt hat.
In der Akquisitionsphase sind Anbieter gern bereit notwendige Informationen bereitzustellen. Man kann davon ausgehen, dass die Anbieter von Systemen ein Interesse haben, an weitere Kunden neue Software und Dienstleistungen zu verkaufen. Erhalten sie hierzu eine direkte Anfrage, wird der Interessent gern mit Informationen versorgt, die eigene Lösung im besten Licht dargestellt und natürlich versucht, den Interessenten möglichst frühzeitig zu vereinnahmen.
Anders sieht das vielfach aus, wenn der Interessent für die Vorbereitung seines Projektes, für die strategische Ausrichtung, Konzeption, die organisatorischen Maßnahmen, die Evaluierung der Eignung von Lösungen und die Produktauswahl ein produkt- und herstellerunabhängiges Beratungsunternehmen einschaltet. Häufig möchte das Anwenderunternehmen nicht von den Anfragen des Vertriebs der Anbieter „überrannt“ werden. Dies geschieht auch häufig, wenn beim Anwenderunternehmen bereits eine Lösung vorhanden ist – denn „grüne Wiese“ gibt es kaum noch.
Nehmen wir einmal den hypothetischen Fall, ein Großunternehmen will für mehr als 10.000 Anwender prüfen, ob man strategisch für die Zukunft mit einer anderen Lösung besser aufgestellt ist, als mit derjenigen im Hause, mit der man seit langem arbeitet. Man möchte natürlich den derzeitigen Partner nicht verschrecken, weil man auf ihn angewiesen und dieser auch zukünftig weiterhin eine valide Option ist. Also beauftragt man eine unabhängige Unternehmensberatung, um die Möglichkeiten, Zukunftsplanungen, Schnittstellen, Migrationsmöglichkeiten etc. in-Frage-kommender Anbieter anonym prüfen zu lassen.
Wie hilfreich wäre dann – rein theoretisch – eine Antwort eines Anbieters auf die höfliche Anfrage des Beraters nach Information, mitteilen würde, dass man sich direkt mit Großkunden abstimmt und keine Stunde Zeit für eine Video-Konferenz für die Behandlung der schriftlich vorab eingereichten Themen aufbringen will – und dann noch mit einem Satz wie „Ich ersuche um Verständnis für diese Festlegung“ schließen würde? Eine solche prinzipielle, grundsätzliche Ablehnung der Informationsbereitstellung und Beauskunftung, selbst gegen eine mögliche Übernahme der Kosten für die Video-Session, hätte nicht nur Auswirkungen auf eine solche individuelle Projektsituation. Sie würde automatisch dazu führen, dass man mit Anfragen an einen solchen Anbieter nicht mehr herantreten und ihn auch bei weiteren Projekten nicht mehr auf die „Short List“ setzen würde. Dies ist schade, wenn man die Lösung grundsätzlich für geeignet hielte, aber unvermeidlich.
Was ist Ihre Meinung hierzu? Kennen Sie ähnliche Situationen? Wie agieren Sie als Anbieter bei Anfragen?
Es gibt die und es gibt die anderen :)
Das ist für mich als Anbieter ein interessanter Artikel und eine interessante Aussage. Er kommt sicher nicht ohne Grund und „musste mal raus“ 🙂
Für mich als Anbieter ist es natürlich interessant, die Customer Journey bestmöglich in den eigenen Händen zu behalten, da man seine bewährten Mechanismen hat, um den Kunden glücklich zu machen. Aber was ist oft die Realität bei den Interessenten? Fehlendes Wissen und der Bedarf, das Projekt erst einmal sauber zu strukturieren und die Anforderungen aufzunehmen. Das vor Dir beschriebene Szenario, also z.B. die Ablöse eines Bestandssystems „aus der Deckung heraus“ hatte ich nicht auf dem Schirm und ist ebenso plausibel.
Wir sind über Anfragen qualifizierter Berater sehr glücklich, auch wenn sie viel Arbeit bereiten, die eine normale Akquise vielleicht nicht hat. Aber sie führen das Projekt zu einem Erfolg, wenn man am Ende die richtige Lösung ist. Berater strukturieren das Projekt und prüfen die passenden Anforderungen. Also alles super.
Es gibt aber nicht nur „die guten Berater“. Es kommt am häufigsten vor, dass wir „sogenannte“ Berater haben, z.B. Freunde von Unternehmern oder andere freilaufende Berater ohne Struktur und Hintergrund, die einfach einen unglaublich schlechten Job machen. Sie versauen häufig am Ende das Projekt. Sie bewerten nicht auf Basis von Erfahrungen und Anforderungen, sondern am Ende landet es bei persönlichen Befindlichkeiten und „beim Preis“. Nicht selten haben die Berater noch nicht mal eine Homepage. Wie ernst soll man das also nehmen? Verbrannte Zeit.
Ich kann also durchaus verstehen, dass einige Anbieter dadurch schlicht sagen: Keine Berater mehr.
Ein Schwarz Weiß Denken ist aber unangebracht. Wir kennen ja die guten Berater und können die Ernsthaftigkeit einschätzen. Das Einzige, was hier manchmal quält ist, dass oft eine 100% Trefferquote aller Anforderungen angesetzt wird, obwohl der Kunde mit 70% zufrieden wäre, wenn die Software sich wenigstens von den Anwendern geschmeidig bedienen lassen würde, was nicht bei allen Anbietern der Fall ist.
Wenn ich Deine Zeilen lese, dann scheint es mir gefühlt aber um alteingesessene große Anbieter zu handeln, denen es einfach sehr gut geht und die einfach ihr Ding machen. Wenn der Umsatz (noch) stimmt, dann braucht man sich nicht aufwendig mit Beratern auseinander zu setzen. Ok, dann ist das so. Entscheidung des Anbieters.
Dafür gibts aber genügend andere Anbieter, die sich freuen, Kundenprojekte qualifiziert von einem Berater angeboten zu bekommen. Besser als die Anrufe von Interessenten, selbst großer Unternehmen, die da sagen: „Wir brauchen da mal so ein DMS“ – „Ok, was möchten Sie denn genau damit lösen und erreichen?“ – „Ja, DMS halt. Wie teuer ist das denn bei Ihnen?“. Da fühlt man sich wie im Tante-Emma-Laden 🙂