Frank Schirrmacher in der FAZ: „Wir brauchen eine europäische Suchmaschine“

20. Juli 2011 10:50 Uhr  |  Dr. Ulrich Kampffmeyer  |  Permalink


Hat dort jemand den Schuss nicht gehört?  Frank Schirrmacher ist mit seinem Vorschlag sehr spät dran. Er fordert am 19.07.2011 in seinem Artikel in der FAZ "Wir brauchen eine europäische Suchmaschine. Was man nachschlagen kann, braucht man nicht im Gedächtnis zu behalten. Nach dieser alten Lehrerweisheit funktioniert auch Google. Nur dass der Stoff von Google unser Leben ist."


Schirrmacher argumentiert "Im Lichte von Eric Schmidts Ankündigung gewinnen die soeben in der Zeitschrift „Science“ veröffentlichten Erkenntnisse über die Wirkung digitaler Speicher auf das menschliche Erinnerungsvermögen Brisanz (Searching for the Google Effect on People's Memory ). Sollten sich die Ergebnisse erhärten, wird die Studie von Betsy Sparrow und anderen eine Zäsur bilden, die im Leben jedes einzelnen Internetnutzers von großer Bedeutung sein kann. Das merkt man, wenn man freilegt, was die Forscher eigentlich sagen und wie sie es sagen. Das ist gar nicht leicht. Denn die Mitteilungen der Forscher sind mittlerweile durch die Lektüremaschinen des Internets gegangen und haben eine Unzahl einander zum Teil krass widersprechender Deutungen provoziert. Giesbert Damaschke hat in seinem Blog den ersten Rezeptionsschub schön zusammengefasst: Er reicht von „Internet macht vergesslich“ (Spiegel online) bis zu „Internet macht vielleicht doch nicht dumm“ (Zeit online)."

So weit, so gut. Er folgert dann

"Die Auslagerung unseres Wissens ins Netz, so die Schlussfolgerung, korrespondiert mit einer Auslagerung unseres Gedächtnisses ans Netz – und genau mit dem, was die Google-Chefs seit jeher als ihre wahre Vision und ihr Geschäftsmodell annoncierten. Warum soll man sich darüber aufregen? Die amerikanischen Forscher sind sehr darauf bedacht, nicht in den Ruf der Kulturpessimisten zu geraten. Es ist so, es war schon öfter so – man denke an die Polemik des Sokrates gegen die Schrift –, der Mensch hat schon immer Wissen und Erinnerung ausgelagert. Mit dem Merksatz „Das was man nachschlagen kann, muss man nicht erinnern“ zitiert Jürgen Kuri vom Magazin „c’t“ seine alten Lehrer. Die Externalisierung von Wissen findet in jeder Bibliothek und in jedem Katasteramt statt."

Und leitet hieraus die Forderung einer europäischen Suchmaschine ab:

"Das beantwortet aber die Frage nicht, die heute so drängend ist wie keine andere: Was ist die politische und soziale Macht einer Suchmaschine? Wie groß ist diese Macht eigentlich, wenn die Menschen ihr so sehr vertrauen, dass sie ihr ihr Gedächtnis opfern? Nach dem Stand der Dinge liegt das wirkliche Wissen heute in der Hand von einem, mit Apple und Facebook maximal drei Mega-Konzernen. Was heißt es, dass wir von dem virtuellen Bibliotheksdirektor niemals erfahren, was eigentlich das relevante Wissen der Jetztzeit ist: welche Schlüsse er aus unseren Lektüren, unserem Verhalten, unserem Konsum, unserem Leben zieht? Was er weiß? Vielleicht müssen wir uns Gott als diesen Bibliothekdirektor vorstellen. Während – Frank Rieger hat darauf hingewiesen – die EU Milliarden ausgibt, um mit Galileo das GPS nocheinmal nachzubauen, ist die Entwicklung einer europäischen Suchmaschine schon im ersten Anlauf gescheitert. China, besorgt um seine Deutungshoheit, hat Baidu. Man muss das Werkzeug Google, mit dem wir heute alle arbeiten, nicht perhorreszieren. Aber eine europäische, nicht privatwirtschaftliche Suchmaschine, die keiner politischen oder ökonomischen Kontrolle unterliegt, ist vielleicht das wichtigste technologische Projekt der Gegenwart. Der Chaos Computer Club wäre ihr TÜV. Wenn wir diese Maschine nicht bauen, werden wir uns eines Tages vielleicht an uns selbst nur in einem einzigen Moment erinnern: wenn wir zum ersten Mal unser von der Videokamera aufgezeichnetes Bild auf dem Computerschirm sehen."

Frank Schirrmacher weist selbst auf den gescheiterten Anlauf "Quaero" hin. Damals vor 5 Jahren ist das von der EU gepäppelte Quaero-Experiment gescheitert (schon am "verquerten" Namen). Hätte es heute eine bessere Chance? Nein, absolut nein, denn die Welt der Suchmaschinen hat sich auf wenige führende Anbieter verdichtet. Aggregation der Informationen und Akzeptanz sind sehr hoch. Eine neue, zu dem politisch motivierte "europäische Suchmaschine" hätte keine Chance, wäre verbranntes Geld.

So ist der Artikel von Frank Schirrmacher zu spät dran und zudem eine Steilvorlage für den Vorsitzenden des SuMA e.V., Wolfgang Sander-Beuermann, der mit MetaGer ein "eigenes Baby" hat und anderen Suchmaschinenaktivitäten die deutsche Autorität zum Thema ist. Sander-Beuermann kennt den Vorstoss von Schirrmacher schon länger … wie er im Blog des SuMA e.V. berichtet. Bereits vor sieben Jahren hatte Sander-Beuermann an Schirrmacher geschrieben:

"Im Jahre des Herrn Anno 2004(!), am 4. November, hatte ich in einem Brief an Frank Schirrmacher ihm sinngemäß das Gleiche geschrieben. Hier ein paar Zitate aus meinem damaligen Brief: 'Ich möchte Ihnen ein Thema antragen, das von ähnlicher Sprengkraft für die zukünftige Entwicklung in Deutschland ist wie die von Ihnen publizierten Probleme der Überalterung (das bezog sich auf Schirrmachers damals erschienenes Buch "Das Methusalem – Komplott").'
'Der Kernbereich der Informationsgesellschaft wird heutzutage und zukünftig noch stärker durch die Suchmaschinen des Internet beherrscht. In diesem Kernbereich hat sich eine brisante Lage ergeben … 'Die kurz beschriebene Krise der deutschen Informationsgesellschaft wird dadurch zementiert, dass aktuelle Förderprogramme des Bundes, die es in diesem Bereich durchaus gibt, Technologieträume beschreiben, für die in Deutschland jedoch jegliche Grundlagen fehlen. … '
'Vor diesem Hintergrund sehen wir in der angedeuteten Lage eine reale Bedrohung der Informationsgesellschaft in Deutschland. Wir würden es begrüssen, hierüber mit Ihnen in einen Diskurs einzutreten.'

Ähnliche Briefe hatte ich damals auch an andere Personen, Institutionen, Firmen, Ministerien und Staatssekretäre geschrieben, die ich für Multiplikatoren oder Entscheider hielt. Heute frage ich mich, wieso ich so naiv sein konnte, auch nur eine einzige brauchbare Antwort zu erwarten. Während aus dem Bereich der Ministerien und Behörden wenigstens eine höfliche Eingangbestätigung und ein paar freundliche nichtssagende Worte zurück kamen, kam von Ihnen und aus dem gesamten Bereich der Wirtschaft nicht einmal das.
Ihre jetzige Erkenntnis, Herr Schirrmacher, dass wir eine europäische Suchmaschinen brauchen, kommt nun leider sieben Jahre zu spät. Damals, 2004, wäre es noch möglich gewesen, mit relativ geringem Aufwand von "nur" ein paar Hundert Millionen Euro, europäische Alternativen zu entwickeln – aber der Zug ist abgefahren. Michail Gorbatschows Zitat "wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" gilt auch hier in voller Schärfe. Deutschland und Frankreich haben dann, nicht ganz so verspätet wie Sie, tatsächlich ein paar Hundert Millionen Euro in Projekte wie Quaero und Nachfolger gesteckt, mit denen vielleicht auch irgendwo irgendwas ein bischen Nützliches entwickelt wurde – aber unter dem Aspekt, europäische Alternativen zu entwickeln, ist es sinnlos verbranntes Steuergeld."

Da haben Sie Herr Sander-Beuermann völlig Recht.

Ein neuer Anlauf für kulturpolitisch motivierte Suchmaschinen macht keinen Sinn. Quaero hatte schon vor Jahren keine Chance gegen die kommerzielle Konkurrenz aus den USA. Schirrmacher erwähnt Baidu – die einzigen, die sich per "Ordre-de-Mufti" noch gegen Google & Co . (wer ist eigentlich "Co") wehren (können) sind die Chinesen. Die haben das Glück eines aus westlicher Sicht schwierigen Zeichensatzes nebst eigener Sprache zu besitzen. Kein Masstab für Europa. Auch die Metalität des Umganges mit dem Medium Web passt nicht. Google setzt heute den Masstab (und baut in mit weiteren Diensten aus). Heute zu fordern – lieber Herr Schirmmacher – wir bräuchten eine europäische Suchmaschine, ist völlig überholt!

Aber was tun, denn die Argumente von Frank Schirrmacher müssen wir schon ernst nehmen?

Wir brauchen guten, leicht findbaren europäischen Content, um unsere europäische Sprachkultur zu retten und überall gefunden zu werden. Auf die Inhalte wird es ankommen. Und hier sehen wir uns der wahren Herausforderung gegenüber. Viele Autoren – gerade Wissenschaftler – publizieren nur noch in English um wahrgenommen zu werden. Um viel Verbreitung und Leserschaft in Communities, Blogs und Twitter zu erhalten postet man in Englisch. Wir brauchen mehr "Non-English" europäische Inhalte und Strategien zu deren Erschließung. Automatische Übersetzung dürfte hilft hier mehr helfen als eine europäische Suchmaschine! Intelligente semantische Vernetzung der Inhalte kann hier eine neue Qualität bringen. So gesehen sind herkömmliche Suchmaschinen a la Google schon Altertum. Bestimmte Dinge sucht man auch schon anderswo, z.B. in Wikipedia. Wenn man sich auf Inhalte und deren Erschließung nebst Vernetzung konzentriert kann man auch im Zeitalter nach der Suchmaschine überleben.

Dr. Ulrich Kampffmeyer

Curriculum auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Kampffmeyer

3 Kommentare zu “Frank Schirrmacher in der FAZ: „Wir brauchen eine europäische Suchmaschine“

  • Wolfgang Sander-Beuermann kontert im SPIEGEL Interview
    21. Juli 2011 um 8:45
    Permalink

    Wie bei Frank Schirrmachers Thesen üblich, zieht das Thema "Wir brauchen eine europäische Suchmaschine" inzwischen größere Kreise. Wolfgang Sander-Beuermann hatte in seinem Blog schon geantwortet. Auch Ulrich Kampffmeyer hat im SuMA-Blog hierzu Stellung genommen.

    Die Fakten und Argumente, die Schirrmacher zur Beeinflussung unseres Lebens, unseres Denkens und unseres neuen Weltbildes vorbringt sind durchaus valide und bedenkenswert. Die Folgerung erneut eine europäische Alternative zu Google in Angriff zu nehmen diskreditiert aber all die guten Ansätze Schirrmachers. 

    Inzwischen hat auch der SPIEGEL das Thema aufgegriffen und ein Interview mit Wolfgang Sander-Beuermann veröffentlicht. Dort favorisiert Sander-Beuermann eine Landschaft spezialisierter Suchmaschinen als Antwort auf Google (90% aller Suchen; und BING 2% aller Suchen). Aber spezialsierte Suchmaschinen haben es auch schwer wie man an Wolfram-Alpha sieht. Und Themen-spezifische Suchmaschinen einrichten? Hier sind eher Portale und Communities sinnvolle Alternativen, die nicht nur Suchergebnisse sondern auch Diskussion, persönliche Ansprache und weiterführende Informationen bieten.

    Für eine gewisse Zeit werden wir Google die Herrschaft über das Suchen und das Meinung-bilden im Internet überlassen müssen. Aber auch die Herrschaft von Google wird nicht ewig dauern. Je mehr sich Menschen und Unternehmen von Google (und anderen Plattformen) gegängelt fühlen, werden sie nach Alternativen Ausschau halten und es werden sich neue Geschäftsmodelle entwickeln. Wir erleben derzeit so etwas im Bereich Mobile wo die Telekommunikationskonzerne und Telefongerätehersteller durch die Anbieter von Betriebssystemen und Applikationen entmachtet werden – allerdings auch hier inzwischen vor Apple und Microsoft findet sich Google. Dies zeigt auch, dass Suchmaschinen nur eine Fazette der Beherrschung der Informationsgesellschaft sind. Andere Strömungen sind genauso wichtig. Hier liegt das eigentliche Problem jenseits der reinen Suchmaschine (die uns längst auf ein "Google-like" Interface und Nutzungsverhalten gepolt hat). Es geht um die Verknüpfung aller Informationen von Telefonie, Geolokalisierung, Office, Archivierung, Suchmaschine, Social Community usw. Regierungen sind in der Gefahr ihre Macht an einen weltweit agierenden Konzern – unkontrolliert wie auch Schirrmacher deutlich macht – abzugeben. Als Individuen geben wir längst usnsere Identität und unser Leben im Web an die Anbieter solcher Dienste ab. Dort wird es zukünftig darum gehen, authentifizierte digitale Identitäten zu schaffen (nicht mit dem nPA), finanzielle Geschäfte zu ermöglichen (Google und Facebook sind längst auf dem Weg zur eigenen Bank und zum eigenen Geld) und kulturelle Eigenständigkeit zu pflegen (es lebe die digitale Landsmannschaft und Sprachgemeinschaft).

    So gesehen packt Schirrmacher das Thema zwar an, kommt aber zu den falschen Schlüssen. Und auch Sander-Beuermann springt noch zu kurz und bleibt zur sehr in seinem eigenen Spezialgebiet verhaftet. Was die Diskussion jedoch bereits andeutet ist eine generelle Auseinandersetzung, vielleicht auch eine neue Bewegung, um die Herrschaft über das elektronische Wissen und die Informationsgesellschaft neu zu regeln. Initiativen wie sie sich in Deutschland erst kürzlich präsentiert haben werden dabei aber kaum eine Rolle spielen. Wir brauchen eine breitgetragene "Grassroots"-Bewegung und vielleicht trägt ja der Krieg zwischen Facebook und Google zum Entstehen dieser Bewegung bei. 

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  • Der Kommentar zu Schirrmachers These in der WELT ONLINE
    21. Juli 2011 um 11:22
    Permalink

    Auch auf der Welt Online wird Schirrmachers Artikel kommentiert (http://bit.ly/rtzI1q). Hier ist der Tenor – wo Schirrmacher eher Risiken sieht sind Chancen zu sehen.

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  • Europäische Suchmaschine
    13. Mai 2016 um 13:46
    Permalink

    Aktuell will die europäische Union Googles Machtposition durch eine Abspaltung der Suchmaschine einschränken und neue Gesetze erlassen. Dieser Weg ist jedoch nicht der richtige. Das Internet darf nicht zur politischen Tanzbühne für profilierungssüchte Politiker werden. Richtig währe, wenn bestehende Projekt wie CENTIL-Europe, Webliste.ch und andere von den Staaten subventioniert würden. Der Markt würde danach selber bestimmen, welche europäische Suchmaschine bei den Nutzern am besten ankommt. Für aktuell noch mittelgrosse Suchmaschinen wie CENTIL mit 4.5 Millionen indexierten Websites ist es unheimlich schwierig, dass Firmen SEA-Werbung Schalten, da nur AdWords als Teil des Google Suchdienstes, oder Bing als Werbeplattformen in Anspruch genommen werden, egal wieviel es letztendlich kostet. Dass man dabei noch Geschäfts- und Besucherdaten nebenbei an die USA liefert, ist völlig egal.
    Die Voraussetzungen in Europa, eine erfolgreiche Suchmaschine aufzubauen, ist nicht unmöglich, aber sehr extrem schwierig. Wenn also Europa eine eigene Suchmaschine mit eigenem Index will, ist die Subventionierung meiner Ansicht nach der einzige, diplomatisch richtig Weg. Wobei META-Suchmaschinen nicht in Frage kommen dürfen, da diese keinen eigenen Index führen, sondern selber Daten den US-Giganten liefern.
    Es bräuchte dazu keine Entwicklungs- und unnötige Personalkosten, da ja schon alles vorhanden ist. Dadurch müssten keine überaus grosse Summen pro Jahr investiert werden.

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