Das Zeitalter der Algorithmen

9. August 2020 08:53 Uhr  |  Dr. Ulrich Kampffmeyer  |  Permalink


Begriffe werden wie Monstranzen vor dem Zug voran getragen. Sie sind die Oriflamme von Bewegungen. Sie sollen einer Strömung, einem Trend einen greifbaren Namen geben. Diese Namen, Bezeichnungen, Benennungen, Begriffe – sie müssen auch nichts mit der Realität zu tun haben, wenn sich genügend mit dem Sujet identifizieren, über es sprechen, es lobpreisen oder verreißen. Die Namen sind Schall und Rauch und haben in gesellschaftlichen wie auch technischen Regionen fast immer nur die Aufgabe, eine Fassade aufrechtzuerhalten, ein potemkisches Dorf nicht einstürzen zu lassen.

Wir haben solche Hype-Begriffe im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie schon viele erlebt – und überlebt. Zur Jahrtausendwende machte der Hype Web 2.0, geboren aus dem Schaum einer Konferenz, die Runde. 2.0 stand danach für modern, weiterentwickelt, trendy. Aus 2.0 wurde schnell 3.0 oder auch 4.0, wenn man es eilig hatte, Dabei stand die „.0“ immer für etwas Unfertiges, das erste Release der Bananen-Software, die beim Kunden reift. Wer setzt schon auf die „2.0“ sondern wartet eine Folgeversion „2.2“, „2.3“ ab. Ähnliches geschieht aktuell mit dem Begriff „Digitalisierung“. Ursprünglich ging es um die Wandlung analoger Information in digitale Information. Etwas, was wir im Umfeld des Dokumentenmanagements mit Scannen tun oder mittels Mikrofon und Konverter aus dem Klang einer Geige in eine Abfolge von Nullen und Einsen überführen. Der Begriff Digitalisierung ist schwammig und wird vielfältig interpretiert. Vom Verlegen von Kupfer im Boden bis zur sich selbst programmierenden Künstlichen Intelligenz ist alles Digitalisierung. Wir haben haben hier schon einmal vorsorglich die Frage gestellt, was ist, wenn ALLES (was ist alles?) digitalisiert ist? Was kommt dann?

Ein Paradigma der Digitalisierung sind die Daten. Daten seien wichtig, seien wertvoll, seinen das Öl des 21. Jahrhunderts. Man spricht vom Zeitalter der Daten. Alles drehe sich um Daten – von ihrer Verwertung zur Manipulation über die Anhäufung virtueller Vermögen bis zum Schutz persönlicher Informationen. Daten sind die Hauptsäule der geschäftlichen Tätigkeit geworden. Mit Daten wird kommuniziert. Mit Daten wird die Welt erfasst und abgebildet. Dies alles ist der Kern der Digitalen Transformation, jenes laufenden, sich beschleunigenden und niemals endenden Prozesses zur Umsetzung allen digital Erfassbaren. Alles was digitalisiert werden kann wird auch digitalisiert werden, so Shoshana Zuboff in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Aber sind die Daten, ist die Digitalisierung, wirklich das Entscheidende, um unsere Ära zu charakterisieren?

Sind wir einfach einmal provokant: Daten sind unwichtig. Die meisten Daten liegen nur rum. Sie sind veraltet. Sie sind redundant. Wenn man sie braucht, findet man sie nicht. Sie sind ein unnützes Meer an binären Werten auf irgendwelchen Speichern. Ja, Daten können Werte enthalten, wenn man die Daten denn richtig interpretieren kann. Struktur und Kontext machen aus Daten Information. Aus Information kann Wissen gewonnen werden. So gesehen sind die Daten selbst nur etwas wie ein Rohstoff. Das erinnert an die prähistorischen Zeiten, wo man Perioden nach Werkstoffen klassifizierte und versuchte zu unterscheiden: Kupfersteinzeit, mittlere Bronzezeit, frühe Eisenzeit. Ist dies gemeint, wenn wir vom Zeitalter der Daten sprechen? Einer Datenzeit? Einer digitalen Ära?

Bleiben wir bei der These: Daten sind unwichtig.
Was ist dann wichtig?
Algorithmen sind wichtig.
Algorithmen bringen Zusammenhänge, Logik, Struktur, Nutzbarkeit in die Daten. Ohne Algorithmen sind Daten nutzlos. Algorithmen bestimmen die Funktionalität von Software und Hardware. Algorithmen sind die eigentliche Grundlage, dass Kommunikation und IT funktionieren.
Man müsste also genaugenommen von einem Zeitalter der Algorithmen sprechen.

Dies würde es auch einfacher machen, andere aktuelle Entwicklungen einzuordnen. Nehmen wir hier das Beispiel selbstlernender und selbstprogrammierender Künstlicher Intelligenz (KI, ja auch wieder so ein Begriff. Wir wissen ja kaum was Intelligenz beim Menschen ist und auf Software passt dies nun gar nicht, weil Software – als Grundlage auch für KI, Robotik & Co – anders funktioniert als das menschliche Gehirn). Das Entscheidende bei der KI sind die Algorithmen. Vorgegebene oder selbstgeschaffene. Hier wird gleich wieder das Argument kommen, dass in Abhängigkeit der Daten zum Lernen Machine Learning (ML) zu den abstrusesten Lösungen kommt. Aber auch hier sind das entscheidende die Algorithmen. Wie werden die Daten interpretiert, wie wird hieraus eine Wissensbasis generiert, die wiederum mit anderen Algorithmen dann die Steuerung und Weiterentwicklung übernimmt. Auch das Thema „Digitale Ethik“ (nein, es geht nicht um die zwei Zustände „schwarz“ oder „weiß“ sondern um ethisches Verhalten für Algorithmen) hängt genau an dieser Frage. Es muss nicht lauten – kann KI ethisch sein, können Roboter eine Ethik haben, kann sich Software ethisch verhalten – sondern, können Algorithmen Ethik haben oder generieren. Wobei Ethik natürlich ein menschlicher Maßstab ist. Ein sehr volatiler Maßstab. Und nichts mit Algorithmen zu tun hat. Mancher Science Fiction Film strapaziert hier das Thema über (obwohl, ein depressiver Roboter, eine depressive KI, so ein kleiner Marvin, ist schon interessant).

Die entscheidende Frage wird letztlich sein, wann überspringen Algorithmen die Grenze zum emphathischen Fühlen, zum Selbstbewußtsein, zu Selbsterkenntnis – natürlich immer nach menschlichem Maßstab. Wenn sie es denn jemals können. Aber ist der Mensch noch der Maßstab wenn wir über sich selbst programmierende und evolutionär weiterentwickelnde Systeme sprechen? Das menschliche Gehirn kann kaum noch nachvollziehen, was so eine Super-ML-Evolutionary-AI selbst „ausdenkt“, geschweigen denn kontrollieren. Und schon ist man wieder in den Bildern von Kubricks Film gefangen.

Denken wir einmal positiv: Wird der Mensch nicht die Maßstäbe der Maschine übernehmen, die mit Logik „durchdacht“, „menschenwürdig“ formuliert, klar erkennbar, begründet, nützlich und weiterführend entwickelt wurden? Vielleicht macht es irgendwann Sinn, eine „Ethik der Maschine“ für das menschliche Zusammenleben zu übernehmen. So im Sinne der asimovschen Robotergesetze für Menschen. Auch diese Regeln wären dann das Ergebnis von Algorithmen. Dies liegt gar nicht so fern, da auch die neurologische Forschung inzwischen die algorithmische Verarbeitung von chemischen und elektrischen Informationen in unserem Gehirn diskutiert. Vielleicht schafft da das heraufdräuende Zeitalter der Algorithmen auch eine Brücke zwischen Mensch und Maschine (nein, wir meinen hier nicht explizit Cyborgs).

Auf jeden Fall finden wir „Zeitalter der Algorithmen“ schöner, sexier, sinnstiftender als als das Gewese um Daten und digitalen Krams – sagt unser Bauchalgorithmus.

Dr. Ulrich Kampffmeyer

Curriculum auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Kampffmeyer

2 Kommentare zu “Das Zeitalter der Algorithmen

  • Digitalisierung braucht Daten, Algorithmen und Prozesse
    11. September 2020 um 12:58
    Permalink

    Ja, ohne Algorithmen sind Daten wertloses Zeug. Algorithmen ohne situativ wirkende Prozesse bringen alleine aber auch nicht weiter. Ich sehe das Zusammenwirken von Daten, Algorithmen und Prozessen all sinnstiftend. Und nein, Prozesse sind keine Algorithmen, sie bringen sie situativ mit Daten und mit Rollen (die durch Menschen oder Maschinen wahrgenommen werden) zusammen.

    Antwort
  • Guter Artikel
    18. September 2020 um 10:26
    Permalink

    Super geschriebener und informativer Artikel :-). In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen.

    Antwort

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