Das papierlose Büro bleibt Fiktion – fast überall

7. August 2013 09:19 Uhr  |  Dr. Ulrich Kampffmeyer  |  Permalink


… so titelt zumindest die IX am 6.8.2013 (http://bit.ly/IX-papierlos): <Zitat> "Das papierlose Büro bleibt in Deutschland ein Traum. Millionen E-Mails und andere Dokumente landen Tag für Tag auf dem Drucker statt in elektronischen Archivordnern. 

Nach dem Sommerurlaub türmen sich die Papierberge in vielen Büros besonders hoch, weil keine Zeit zum Lesen der E-Mail-Schlange bleibt. Etliche Unternehmen appellieren deshalb im Kampf gegen die Papierverschwendung an das Gewissen. Hinweise unter jeder Mail wie "Think before your print" haben bislang wenig gebracht: Im Schnitt verbrauchte jeder Mensch in Deutschland nach Angaben des Verbandes Deutscher Papierfabriken im vergangenen Jahr 244 Kilo Papier pro Jahr und damit deutlich mehr als im EU-Durchschnitt. Der Höchststand von 253 Kilo im Jahr 2007 ist zwar nicht mehr erreicht worden, doch das liegt nach Angaben des Verbandes nur am Rückgang der Print-Produkte wie Zeitungen und Werbeblättern." </Zitat>

In der ausschweifenden Diskussion gibt es interessante Argumente pro und kontra. Dabei fällt auf, dass sich unsere Branche mal wieder nicht an der Diskussion mit Lösungsvorschlägen und Argumenten beteiligt.

Meine Antwort im IX-Forum bei Heise:

Die Vision des papierlosen Büros gibt es schon seit langem. Es gibt viele gute Software-Lösungen zur Umsetzung. Der Prozess der "Papierentwöhnung" ist jedoch sehr langwierig. Dies hat weniger mit der Technik als mit den gewohnten Arbeitsweisen zu tun. Die Generation, die mit dem Smartphone, dem Tablet und dem Web aufgewachsen ist, hat hier natürlich ein anderes Verhältnis zum Medium Papier als der Sachbearbeiter, der seit 30 Jahren seine Kopien ordentlich in Aktenordnern abheftet. Das Wegnehmen des Papiers in Büroprozessen ist daher eher eine organisatorisch-kulturelle-soziale Hürde. Nun gibt es Büroprozesse, die bereits komplett ohne Papier laufen und weitgehend automatisiert sind – das echte papierlose Büro. Hier kommt Workflow-Software zum Einsatz und der Sachbearbeiter sieht weder beim Eingang noch bei Ausgang Papier, da ihm alles elektronisch bereitgestellt wird. Dies funktioniert bei standardisierbaren Prozessen, die viele unterschiedliche Mitarbeiter mit gleicher Qualität und gleichem Ergebnistyp erledigen sollen. Daneben gibt es das papierarme Büro, in dem neben der Arbeit am Rechner immer noch Papier parallel genutzt wird, jedoch spätestens zum Ende der Bearbeitung in eine elektronische Form gewandelt wird. Es gibt auch das papierreiche Büro des Wissensarbeiter, der sich individuell organisiert und hinten Bergen von Papier verschanzt. Und es gibt das "menschenleere" papierlose Büro, wo sich nur noch automatisierte Prozesse mit Informationen gegenseitig updaten und Entscheidungen treffen. Diese Form des papierlosen Büro dürfte mittelfristig die größte Herausforderung für uns darstellen. Die unterschiedlichen Typen machen eines deutlich – man kann die Vision des papierlosen (besser papierarmen) nicht auf alle Formen der Büroarbeit anwenden. Es gibt jedoch zwei Argumente, die das papierarme Büro zur Notwendigkeit machen.
(1) Nahezu alle Papierdokumente sind "digital born", d.h. sie sind ursprünglich elektronisch entstanden. Das "Original" ist die elektronische Version. Es macht keinen Sinn, das Papier erst auszudrucken um es dann wieder zu erfassen oder sogar zu scannen. Nicht "grüne Argumente" sind für das papierlose Büro wichtig, sondern die medienbruchfreie Kommunikation. Im amerikanischen Prozessrecht (FCRP) hat das elektronische Dokument bereits rechtlichen Vorrang vor dem Papierausdruck. Dies wird auch in Europa kommen. Mit dem Rechtscharakter des elektronischen Dokuments fällt auch ein Argument pro Papierdokument.
(2) Erinnern wir uns an die 80er Jahre und das erste Gesetz von SHOSHANA ZUBOFF: "Alles, was digitalisiert und in Information verwandelt werden kann, wird digitalisiert und in Information verwandelt." Wir können uns der Revolution der Kommunikation und Nutzung von Software nicht mehr entziehen. Es gibt keinen Weg zurück.
Je mehr Smartphones, Tablets und andere Devices nur noch mit elektronischen Informationen (und Dokumenten) arbeiten, desto mehr wird Papier zum Klotz am Bein. Unternehmen mit Papierorganisation riskieren abgehängt zu werden. Sie können nicht mehr schnell genug auf Veränderungen im Markt reagieren. Deshalb wird die Umsetzung des papierarmen Büros zur Existenzfrage in unserer Informationsgesellschaft.
Und wer das Thema "papierarm" oder "papierlos" voranbringen möchte – hier gibt es Initiativen wie #paperless2013 oder den #WPFD World Paper Free Day.

Dr. Ulrich Kampffmeyer,

#paperless – Join 4th #WPFD World Paper Free Day http://on.fb.me/FB_WPFD – Oct 24, 2013 http://bit.ly/2013-WPFD

Dr. Ulrich Kampffmeyer

Curriculum auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Kampffmeyer

2 Kommentare zu “Das papierlose Büro bleibt Fiktion – fast überall

  • Hilflosigkeit beim Kampf gegen Papier
    7. August 2013 um 9:50
    Permalink

    Sind die Dokumente wirklich „digital born“? Ist das so? Liegt nicht eine der Ursachen für die fehlende Disziplin im Umgang mit digitalen Dokumenten hierin begründet? Ein Vertrag beispielsweise ist erst dann ein Original, wenn er unterzeichnet ist. Ein Angebot ist erst dann das Original, wenn es per Fax verschickt wurde.
    Bis heute hat es die Branche nicht geschafft, dem Nutzer die Möglichkeit zu geben, mit den digitalen Dokumenten genau so einfach und flexibel umzugehen, wie er das mit Papier tun kann. Die rechtsgültige Signatur ist der blanke Horror. Einem Dokument ein Post-it aufzukleben, mit einem Bearbeitungsvermerk, der dann weggeworfen werden kann. Mal eben mit dem Stift eine Telefonnummer oder einen Vermerk notieren. Die Möglichkeit eine Kopie zu fertigen und das Dokument an 2 oder mehreren Stellen abzulegen. Und das alles ohne Gängelung von regelbasierten Systemen, die von Ingenieuren für Ingenieure gebaut wurden und unter dem Einfluss von Juristen stehen, die dem Nutzer am Besten jede Verantwortung für den Umgang mit dem Dokument abnimmt, weil er ja etwas löschen oder verändern könnte. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Nutzer dann auch auf Papier verzichten werden.

    Antwort
  • Papierarm ist ein guter Ansatz, der auch schon sehr alt ist
    9. Juli 2014 um 9:14
    Permalink

    Ich denke, der papierarme Ansatz ist gut und genau so alt, wie die Zeit, in denen es noch keinen „Computer zum Mitschleppen“ gab.
    Hingegen habe ich diesen „Paperless-Hype“ selbst gelebt und es war am Ende ein Alptraum, wenn man merkt, wie die Kognizität rückläufig ist und man ohne „Hilfssoftware“ vor dem aus steht. Das kann einem Unternehmen den Kopf kosten!

    Ein durch die Informationsüberflutung und deren Verursacher (1. Mensch, der sich nichts bei dem denkt, was er macht, Hauptsache Informationen. 2. entsprechendes Werkzeug=Computer) notwendig gewordene Platzvermeidung und der daraus zustande gekommener Hortungswahn (Speicher kostet ja nicht) macht wiederum eine automatisierbare, weil sonst nicht schaffbare Umgebung notwendig (schnellere Computer, mehr Speicher). Das passt aber nicht zu den „grünen“ Affinitäten. Als Parallel dazu sei der „Grüne Punkt“ und ähnliche Ansätze erwähnt, der dem Normalmenschen suggeriert, es sei ja nicht wirklich so schlimm, Müll zu prodizieren, er werde ja noch gebraucht.
    Da man sich nicht sicher ist, was davon wirklich nützlich ist, hebt man lieber alles auf, da das ja auch niemanden stört (im ersten Moment, sei dazu gesagt).

    Ich denke, ein wirklich sauberer Prozess (damit meine ich nicht die Mammutbaum- oder Rankenkonstrukte vieler sogenannter „Prozessexperten“ und „Unternehmensberater“) und der sinnvolle Umgang mit Informationen sind der Anfang von sinnvoller Mengenreduzierung. Dann folgt der Schritt:
    – was brauche ich langfristig und täglich, was muss auch in 10 Jahren noch „lesbar“ sein?
    – was reicht in rein digitaler Form und wie lege ich es ab?
    Und das allerwichtigste: Brauche ich (oder gar der andere) es überhaupt?
    Und diese eine letzte Frage ist bei all diesen Diskussionen hinten an, wie ich finde! Jeder einzelne in diesem Chaos schleppt privat wie geschäftlich gigabyteweise Datenmüll mit sich herum und belastet sich und damit die „Umwelt“, ist eigentlich ohne „Orga-Software“ hilflos und verloren. Und dann natürlich noch das Papier…
    Hier hat Papier nur einen ganz entscheidenden Vorteil: mein Chaos und die Menge im Korb fallen sehr schnell auf. Das hat auch positive Aspekte, wenn ich mir diesen Missstand betrachte und ihn reflektiere, weil es auch zeigt, wie ich innerlich organisiert bin oder gar, wie es in mir aussieht!

    Zum Thema Sicherheit, Geschäftsgeheimnis und Überwachung: Ich traue dem Brief mit Siegel. Alles andere ist früher oder später offenbar. Klingt „freakig“? Das kann es gerne.

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