AIIM – wo geht es lang?

5. März 2016 09:14 Uhr  |  Dr. Ulrich Kampffmeyer  |  Permalink


Schon seit einiger Zeit befindet sich die Information Management Landschaft in einer Sinnkrise: bisherige Organisationsformen und identifizierende Botschaften wie ECM Enterprise Content Management sind im Zeitalter der rapiden Digitalisierung, der digitalen Transformation, kaum mehr zeitgemäß und kaum noch zu vermarkten. Die AIIM als internationaler Verband für die Branche ringt seit geraumer Zeit mit einer Neuausrichtung.

Dabei geht es bisweilen holprig zu, so z.B. als der CIP Certified Information Professional erst abgekündigt wurde um dann nach lauten Protesten als renovierte Version für diesen Sommer neu angekündigt wurde. Auch der Weggang von Atle Skjekkeland letzten Sommer, der nun als Evangelist und AIIM-Trainer durch die Welt tourt, wie auch der Abgang von John Mancini, Präsident der AIIM für lange Jahre, der jetzt ebenfalls als Evangelist und Berater für AIIM unterwegs sein wird, zeigt die Krise. Eine Krise nicht nur der AIIM sondern der ganzen Branche, die versucht sich neu zu positionieren – jenseits der alten Akronyme und Schlagworte.

AIIM ist als Verband unter Druck geraten. Weiterbildung und CIP Zertifizierung bringen nicht genug Geld. Die Konferenz wurde neu aufgelegt aber hat im Vergleich zu den AIIM Veranstaltungen des vergangenen Jahrtausends deutlich weniger "Impact". Viele vertraute Gesichter aus den Reihen des AIIM-Teams sind fortgegangen. Das Team der AIIM ist sehr geschrumpft. Und es rührt sich neuer Wettbewerb. Gruppierungen wie die Information Coalition (IC) oder die Information Governance Initiative (IGI) treten in den Wettbewerb mit den arrivierten Verbänden AIIM und auch ARMA. Sie besetzen Themen, die zu den Kompetenz-Kerngebieten von AIIM und ARMA zählen. Ein Zeichen, dass die Kernkompetenzen offenbar nicht richtig ausgefüllt werden. Anstelle von "change the organisation from within" treten kommerziell motivierte Startups. Gerade AIIM hat es verstanden über die Jahrzehnte sich ständig zu verändern: vom Mikrofilm zum Dokumentenmanagement, von Enterprise Content Management zum …  ja … das ist genau die Frage, was kommt nach ECM? Irgendwie so ein "next ECM", "ECM next", "post ECM", "extended ECM", "agile ECM", "advanced ECM", "expanded ECM" usw. usw. Begriffe wie Digital Business, Enterprise Information Management (EIM), Social Business und was auch immer aktuell im Markt verbreitet wird, passte nicht, ist keine reale Vision. AIIM verstrickte sich vor einigen Jahren dann in sperrige Konzepte wie "Systems of Record" und "Systems of Engagement". Keine vermittelbare Botschaft, keine Vision. Weder die Anbieter noch die Anwender der Mitglieder sprangen auf diesen Zug auf. Was tun, wohin – Orientierungslosigkeit – wo doch Leadership, Vorangehen, die Richtung weisen gefragt ist? Vielleicht hat auch diese Situation John Mancini zu seinem Rücktritt bewogen. Nicht nur die AIIM stagnierte innerlich, sondern auch die Anbieter im Markt, die links und rechts von neuen Ideen überholt wurden. ECM Enterprise Content Management ist längst Infrastruktur, verschwindet in den Systemen, ist nicht mehr visibel und schon gar nicht "sexy". Die Trends heißen anders. Die Zeit der Akronyme wie DMS, ECM, EIM, BPM usw. geht zu Ende.

AIIM sollte zur Association for Information and Innovation Management werden. Innovation ist, was wir brauchen. Innovation zur Verbreitung der Botschaften zu einem effektiven, sicheren und verantwortungsbewußtem Informationsmanagement.

Denn es geht nur um Informationsmanagement. Information Management umfasst alles, worum es geht. Information Management ist der einzige Begriff, der alle Bestrebungen der bisherigen mit Akronymen garnierten Entwicklungen zusammenfasst. Information Management hebt die willkürliche Trennung zwischen strukturierten und unstrukturierten Informationen auf. Information Management ist eine Wissenschaft die man studieren kann. Information Management ist medienunabhängig und hilft uns so bei der langwierigen Transition von der Papierwelt in die virtuelle elektronische Welt. Information Management schließt Kommunikation und Wissen ein. Die Beherrschung von Information, Information Governance, ist eine wesentliche Aufgabe. Information verändert sich ständig – in unseren Köpfen und den Systemen. Change Management ist daher eine der grundlegenden Kräfte im Information Management. Qualitätsmanagement und Informationsmanagement gehen Hand in Hand. Ohne die Sicherstellung von Richtigkeit, Verfügbarkeit und Nutzbarkeit von digitaler Information ist unsere Zivilisation, unsere Gesellschaft, unsere Kultur, unsere globale Wirtschaft, vielleicht auch unsere Spezies selbst, dem Untergang geweiht. Informationsmanagement ist essentiell wichtig.

Die Wichtigkeit des Themas Information Management – Information nutzbar zu machen, ihren Wert zu schätzen, sie zu sichern – wird nicht ausreichend vermittelt. In Deutschland ist die Lehre zum Informationsmanagement sogar auf dem Rückzug, wenn man an die Schließung von Lehrstellen und Studiengängen im Bereich von Information & Dokumentation denkt. Jeder hält – sein mobiles Gerät zwischen den Fingern – inzwischen die Verfügbarkeit von Information, unabhängig vom Medium, jederzeit und an jedem Ort, für eine Selbstverständlichkeit. Dabei kommen die großen Herausforderungen erst noch – von der Sicherstellung der Verfügbarkeit bis zur Ausforschung und Manipulation der Nutzer. Wir stehen vor gewaltigen Aufgaben und hier hätten Verbände durchaus aus eine Rolle zu spielen: als Meinungsbildner, als Quellen des Wissens, mit Weiterbildung und auch Evangelismus, wie man es so schön in den USA nennt. Die gute Botschaft verbreiten, mit dem Banner vorausgehen. Nur – was steht auf dem Banner? Im Moment schreiten wir einen holprigen Weg ohne Führung immer weiter in den Nebel hinein.

Es gilt, die Kräfte zu vereinen. Verbände mit neuen Zielen und Visionen zu einen, z.B. AIIM und ARMA zu verheiraten. Die neuen Entwicklungen mit IGI und IC zersplittern nur unsere Kräfte. Der einzelne Pfeil wird gebrochen, das Bündel Pfeile hält Stand. Und wenn man nicht eine starke Organisation schaffen kann, dann sollte man wenigstens gemeinsam an einem Strang und in eine Richtung ziehen. In Deutschland hat die Auftrennung des VOI mit Schaffung der ECM-Sektion im BITKOM dem Markt nicht wesentlich weitergeholfen sondern für Verunsicherung gesorgt. Ich wünsche den Verbänden in den USA eine solche Verzettelung erspart bleibt. Besonders weil Verbände wie ARMA und AIIM internationalen Anspruch haben und auch das Dach der Branche und der Professionals in anderen Regionen der Welt bilden wollen. Nicht nur dass die aktuelle Orientierungslosigkeit für wenig Attraktivität sorgt, nein, die Verhältnisse und Auffassungen zum Information Management sind dort auch anders. Und so ziehen sich die Verbände aktuell in sich selbst zurück, versuchen aus sich selbst heraus das notwendige Neue zu schaffen. Dies wird nicht gelingen. Der Anspruch einer globalen, wirklich internationalen Organisation wird bei schwindenden Mitteln und schwindenden Mitarbeitern als erstes auf der Strecke bleiben.

Also, was bleibt von der AIIM? Wo geht es lang? Und – wofür brauchen wir heute Verbände überhaupt noch. Dieser Frage dürfen sich auch andere Verbände gern stellen.

Dr. Ulrich Kampffmeyer

Curriculum auf Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_Kampffmeyer

Ein Kommentar zu “AIIM – wo geht es lang?

  • Pointing AIIM in the Right Direction?
    18. März 2016 um 11:29
    Permalink

    Laurence Hart hat in einem lesenswerten Post "Pointing AIIM into the Right Direction" die aktuelle Diskussion um den Rücktritt von John Mancini und die notwendige Neuausrichtung der AIIM zusammengefasst. Laurence Hart (@Piewords) meint, dass eine besondere Förderung der Chapter der AIIM und deren Mitglieder die neuen Ausrichtung bestimmen muss. Es geht um die Menschen, die den internationalen Verband tragen müssen. Aber aus den Chaptern selbst kam bisher wenig, was den Verband als Ganzes voran gebracht hätte. Andere wie Chris Walker oder Kevin Parker wollen den Information Professional stärken und sehen daher auch die Professionalisierung des Schulungs- und Weiterbildungsprogrammes im Vordergrund. Aufgeschreckt wurde die Diskussion um den Wegfall, das erneute Anbieten und die Ausrichtung des CIP-Zertifikates, Certified Information Professional. Es ist auch unsere Meinung, dass bei nach-universitärer und berufsbegleitender Weiterbildung angesichts der rasanten Entwicklung eine größer werdende Lücke klafft. Hier läge eine Chance für die AIIM, ein gestuftes, vom Einsteiger bis zum diversifizierten Spezialisten, Programm anzubieten, dessen Abschlüsse wie bei anderen Zertifizierungsprogrammen (z.B. PMI)  regelmäßig aktualisiert werden müssen. Dies würde auch kontinuierlich zur Deckung der Kosten der AIIM beitragen und läge auch im Interesse der Anbieter. Aber auch hier sind noch ungeklärte Verhältnisse – wie gleichermaßen Anwender und Anbieter zufrieden zu stellen. Noch liegt das Schwergewicht auf den Anbietern, da diese den Verband und die Studien sponsern. Bei einer Neuausrichtung muss das aktuell konstituierte "Transition Committee" nicht nur eine Lösung für die Nachfolge von John Mancini finden sondern auch die Neuausrichtung vorantreiben. Bis zur großen Konferenz in New Orleans ist dies kaum zu erwarten.
     

    So gibt es denn auch noch andere Themen, neben Chapter, Mitgliedern, Studien, Training, Standards usw., die für die Zukunft der AIIM bedacht werden müssen.
     

    (1) Die frohe Botschaft?
    Was steht auf dem Banner des Verbandes wenn sich ECM Enterprise Content Management langsam als Leitmotto verabschiedet? AIIM – wie auch andere – braucht eine neue VIsion, eine Flagge, unter der sich die Truppen sammeln können. Zur Zeit zerfleddert die Branche und sucht orientierungslos nach neuen Botschaften. ECM ist notwendige Infrastruktur, verschwindet im Untergrund der Systeme. EIM – als Akronym ebenso wenig geeignet. Information Governance – eher ein Thema für die ARMA. Information Management – unsere Wahl – ist sehr weit gefasst, passt aber zur AIIM. 
     

    Nehmen wir das Motto der AIIM international – "The Global Community of Information Professionals". "Information Professsionals" – nicht "ECM Professionals". Dies stützt schon einmal die Ausrichtung zum Information Management. Information Management ist der einzige Begriff, der als Dach oder Schirm geeignet wäre, alle bisherigen technologischen und methodischen Ansätze der AIIM zu umfassen. "Community" – da sieht es etwas "mau" aus, weshalb Laurence auch die Chapter wieder beleben möchte. Die Communities auf der AIIM Webseite sind eher unbedeutende Nebenkriegsschauplätze, wo inhaltlich sehr wenig passiert. Diskussionen finden inzwischen häufiger auf Linkedin und Facebook statt denn in der AIIM Community. Es fehlen Anreize und Zugang. Damit sind wir auch bei den verbliebenen Begriffen "international" und "Global" aus dem obigen Anspruch.
     

    (2) Die AIIM außerhalb der USA?
    Die AIIM versteht sich als internationaler, globaler Verband. Das Schwergewicht der Mitglieder liegt allerdings immer noch in den USA. AIIM Asia – Fehlanzeige, AIIM Europe – eher nur AIIM UK. Die AIIM hat es nicht geschafft eine internationale Strategie aufzusetzen und umzusetzen. Dabei sind im digitalen Zeitalter viele sinnvolle Dienstleistungen des Verbandes – wie Studien, Webinare etc. – jederzeit und überall verfügbar, wenn man denn wollte. Dies erfordert aber auch Services für diese Regionen, in den deren Sprache, zu deren Eigenheiten. Und genau hier fehlt es. Man könnte sehr gut die Studien auch auf Europa fokussieren, die europäischen Daten extrahieren und in gesonderte Berichte für bestimmte Zielgruppen und Länder fassen. man könnte mit lokalen Partner regionale Webinare, Events und Studien erstellen. AIIM könnte sich immer noch als das Dach für die nationalen Verbände positionieren und diesen Services mit globalem, internationalem Fokus bieten. Dafür bräuchte es aber Commitment, Ressourcen und Budget.
     

    Es wird sehr interessant werden, wie sich AIIM in Bezug auf Strategie, Ausrichtung und Management positionieren wird. Und ob man auch an Europa oder gar Deutschland – den wichtigsten Markt in Europa – denken wird. Allerdings dürfte es zur Konferenz in New Orleans im April etwas Konkreteres fassbar werden – weder eine neue Strategie, noch ein neues Leitbild, noch ein neuer AIIM President. Bis dahin werden die Diskussion auf Linkedin, in den Blogs, auf Twitter weiterlaufen. Ob sie etwas bewirken – man wird sehen. 

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